Karlo und der grüne Drache - Kriminalroman
Stammgäste. Die Frau war eine starke Raucherin, und zu fortgeschrittener Stunde, wenn die anderen Gäste das Lokal schon verlassen hatten, gab es des öfteren leidenschaftliche Diskussionen mit dem Wirt, ob das Rauchen nun endlich gestattet sei. Schließlich sei man nun so etwas wie eine geschlossene Gesellschaft. Tonis häufigste Antwort darauf war: „Ihr seid nicht geschlossen, ihr seid dicht …“
Worauf Toni beschieden wurde, er sei wohl
nicht
mehr ganz dicht. Ein Fremder wäre entsetzt gewesen, doch der Streit des Trios lief ab wie bei einem alten Ehepaar: in aller Freundschaft.
Über den besetzten Stammplatz würden die beiden allerdings nicht glücklich sein, doch es war keineswegs gesagt, dass sie heute noch auftauchen würden. Und so setzte sich Karlo ohne schlechtes Gewissen zu Tobias.
Tobias winkte Toni herbei.
„Machen Sie uns jedem einen Grappa?“
Elegant hatte er die Benennung der Mehrzahl des italienischen Tresterbrandes umgangen. Er war sich nicht sicher, wie es korrekt hieß, grinste in sich hinein und war stolz auf seinen sprachlichen Notausgang.
„Was für einen Grappa?“
Toni schaute zwischen den beiden Gästen hin und her, und sein Blick blieb an Tobias hängen, den er noch nicht so gut kannte.
„Was gibt es denn für welche?“
„Na ja, wir haben den ganz normalen, den für Freunde und den für gute Freunde.“
Tobias schaute abwartend. Der Wirt zögerte, schien aber noch nicht am Ende seiner Anpreisungen zu sein. Nach einer kurzen Pause begann er wieder zu reden.
„Und dann haben wir noch einen Barolo-Grappa.“
Er schaute begeistert und fuhr schnell fort: „Aus dem Trester der Nebbiolo-Traube, fünf Jahre im Eichenfass gereift, hat eine tolle Bernsteinfarbe mit …“
Kaletzke unterbrach den Italiener, dem die Wangen vor Begeisterung glühten.
„Das ist der für die
ganz besonders
guten Freunde, vermute ich?“
Tobias hatte offensichtlich verstanden, und Toni strahlte.
„Für die ganz, ganz besonders guten Freunde“, korrigierte er noch und zwinkerte den beiden zu.
„Na, denn …“
„Sehr gern, der Herr. Das ist wirklich was Besonderes!“
Toni verschwand hinter der Theke und musste sich mächtig strecken, um an die besagte Flasche im oberen Regal heranzukommen.
–
Das Essen lag schon etliche Stunden zurück. Tobias und Karlo waren ganz, ganz, ganz besonders gute Freunde geworden. Ihre Augen erschienen so glasig wie der Boden der leeren Flasche des Barolo-Grappa, die vor ihnen auf dem Tisch stand. Nach dem Essen, zu dem sie Bier getrunken hatten, war dieser besondere Grappa dran gewesen.
Sie waren nunmehr die letzten Gäste und bei Tonis Hausgetränk, einem Rotwein aus Sizilien, angelangt.
Toni saß zurückgelehnt mit am Tisch. Er nippte an einem Pils.
Karlo war das Gelage nicht so gut bekommen wie Kaletzke. Er spürte einen gigantischen Kater heraufziehen – wie eine Gewitterfront. Trotzdem quälte ihn gleichzeitig ein großer Hunger. Gerade als er den Mund öffnen wollte, um Toni zu fragen, ob es denn noch eine Kleinigkeit zu essen gäbe, war der kleine Sizilianer aufgestanden.
„So, Leute. Schluss für heute. Ich mache jetzt zu. Tut mir leid, aber ich muss noch saubermachen. Morgen“, er schaute mit gerunzelter Stirn auf seine Armbanduhr und korrigierte sich, „
heute
ist auch wieder ein Tag.“
Der ungeliebte Vorgang des Bezahlens war von einigem Murren begleitet. Nach einer weiteren Viertelstunde hellte sich Tonis Miene auf. Die beiden Grappaleichen standen abmarschbereit vor der Tür. Karlo schien im Stehen zu schlafen. Wenn man dieses Schwanken im Winde noch Stehen nennen konnte.
Der Wirt seufzte erleichtert, als er sah, wie Karlo von Tobias aus dem Hoftor auf die Fachfeldstraße gezogen wurde.
Toni ging vor die Tür, um noch ein wenig Luft zu schnappen. Er trat gemächlich auf die Straße und sah dem schwankenden Duo, das die gesamte Fahrbahn für sich beanspruchte, kopfschüttelnd nach.
Hoffentlich kam jetzt kein Auto.
Montag, 12. Oktober
7
Wenn es gilt, einen schlimmen Kater infolge exzessiven Trinkverhaltens zu vermeiden oder diesen wenigstens in erträgliche Schranken zu verweisen, ist das eine oder andere Glas Mineralwasser im Laufe des betreffenden Gelages das geeignete Mittel. Sagt man. Und dazu unbedingt salzige, fette, im Idealfall auch ziemlich mineralstoffreiche Kost.
Wie bereits erwähnt: so sagt man zumindest.
Nun, mit dem Mineralwasser hatte das eben nicht so recht geklappt, flüsterte ihm der noch aktive Rest seines
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