Karlo und der grüne Drache - Kriminalroman
überlegte er, dass es nicht schlecht wäre, ein Fahrzeug bei sich zu haben. Ein benutzbares Fahrrad hatte er im Moment zwar nicht. Aber das MZ-Gespann, das ihm sein Freund Wolfhard Kuhl überlassen hatte, stand im Garten des Clubs in Oberrad, war angemeldet und auch fahrbereit. Und er war jetzt wieder ein freier Mann. Die Bitte Gehrings, sich zur Verfügung zu halten, war bestimmt nicht als Hausarrest gedacht. Also fasste er den Entschluss, seiner alten Behausung einen Besuch abzustatten, um sein Motorrad zu holen.
Auf gerade diese Behausung würde er Kuhl und die Leute vom Club in den nächsten Tagen ansprechen. Es war ihm klar, dass er seine neue Wohnung wieder räumen musste. Und selbst, wenn er die Wohnung behalten konnte, wäre der Mietpreis sicherlich viel zu hoch für seinen schmalen Geldbeutel.
Was blieb ihm also? Vielleicht könnte er die Clubhütte noch einige Zeit benutzen. Doch was sollte er Jeannette erzählen? Er hatte keine Zeit mehr gehabt, sich bei ihr zu melden, sie zur Feier der neuen Wohnung zu einem Bierchen einzuladen. Und vielleicht danach die neue Wohnung ein wenig einzuweihen, dachte er dann etwas verschämt. Das konnte er nun ganz sicher abhaken, denn die Ereignisse hatten sich wieder einmal überschlagen. Leider. Für Jeannette musste er sich etwas Besonderes einfallen lassen, wollte er noch eine Chance haben.
Jetzt aber benötigte er einen ausgedehnten Spaziergang an der frischen Luft. Vielleicht kam ihm dabei eine Erleuchtung, so hoffte Karlo. Er schaute aus dem Fenster. Über dem Main waberten dicke Nebelschwaden. Sie reichten fast bis zu den Spitzen der Pappeln, die entlang des Fußwegs nur schemenhaft auszumachen waren. Eine monochrome Symphonie der Grautöne. Fröstelnd rieb Karlo die Hände aneinander.
Einen Augenblick hatte er daran gedacht, mit der Bahn nach Oberrad zu fahren, denn er hatte Furcht, der Nebel könnte Einzug in sein Gemüt, seine Gedanken halten. Doch dann riss er sich zusammen und entschloss sich kurzerhand für die sportliche Variante. Er verließ das Haus und lief zielstrebig und mit strammem Schritt los.
Karlo war gut zu Fuß. Er war durch den Nebel gelaufen wie durch eine Art Seelenfilter. Zeitweise war ihm überhaupt nicht bewusst, wie und wo er sich fortbewegte und bemerkte zwischendurch doch immer wieder voller Verwunderung, wie weit er schon gelaufen war. Sein Kopf war wie leer gefegt, er hatte an nichts gedacht, nicht denken können und nur diese innere Stille genossen, die er in den dicken feuchten Nebelschwaden gleichsam eingeatmet hatte. Es war, als wären die schlimmen Ereignisse der letzten Tage aus seiner Erinnerung gespült worden.
Nach eineinviertel Stunden war er fast an seinem Ziel angekommen. Er spürte eine angenehme, fast ätherische Leichtigkeit.
Er hatte auf der Höhe der Gerbermühle die Uferstraße überquert und war hinter der Unterführung nach links in die Gärten abgebogen. Dann war er eine Weile neben dem Bahndamm entlanggelaufen. Nach einiger Zeit sah er im Nebel das Autohaus an der Ecke des Strahlenberger Wegs auftauchen.
Ein wenig zu beflügelt von dem Gefühl der inneren Leere, sah er den Fahrradfahrer vor sich zu spät. Der Nebel hatte seinen Teil dazu beigetragen, dass er den Mann nicht früher registrieren konnte.
Als der Fahrradfahrer ungefähr fünf Meter vor ihm war, trafen sich die Blicke der beiden Männer. Beide erkannten sich im selben Moment. Karlo stand für eine Sekunde starr, als hätte er Wurzeln in den löcherigen Asphalt geschlagen.
Es war genau eine Sekunde zu lange.
Der Radler reagierte schneller. Er bog abrupt in den Strahlenberger Weg ab und begann, mächtig in die Pedale zu treten. Karlos Erstarrung hatte sich gelöst und er fing an, hinterher zu spurten.
Das war sein Fahrrad, zum Teufel, da vor ihm fuhr der Dreckskerl, der ihn auf dem Offenbacher Markt vor ein paar Wochen beklaut hatte.
Karlo rannte, bis er glaubte, die Kniescheiben würden ihm herausspringen.
Dann aber trabte er schweratmend aus. Niedergeschlagen musste er zusehen, wie die Rückleuchte im dichten Nebel verschwand.
Nach fünf weiteren Minuten erreichte er erschöpft die Gartenhütte des Clubs. So ein Mist! Er war buchstäblich überrumpelt von diesem plötzlichen und unerwarteten Wiedersehen. Niemals hätte er gedacht, sein schönes Fahrrad noch einmal zu Gesicht zu bekommen, geschweige denn in die Hände. Er ärgerte sich maßlos. So nah war er dran gewesen und hatte doch nicht schnell genug reagiert. Dann jedoch fasste er
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