Karlsson vom Dach
Lillebror hatte Gunilla sehr gern, er redete immer wieder einmal mit seiner Mutter über sie und wie «phenominonal goldig» sie sei. Krister mochte er auch und hatte ihm die Beule an der Stirn schon verziehen. Es kam ziemlich häufig vor, daß er sich mit Krister prügelte, aber hinterher waren sie immer schnell wieder gute Freunde. Übrigens geriet Lillebror nicht nur mit Krister in Prügeleien; er hatte mit fast allen Kindern auf der Straße wilde Sträuße ausgefochten.
Aber auf Gunilla ließ er nichts kommen.
«Wie kommt es eigentlich, daß du Gunilla nie verhaust?» fragte ihn seine Mutter einmal.
«Nee, sie ist so phenominonal goldig, das brauche ich nicht», sagte Lillebror.
Aber Gunilla konnte ihn selbstverständlich auch hin und wieder piesacken. Gestern, als sie von der Schule kamen, hatte Lillebror von Karlsson vom Dach erzählt, und da hatte Gunilla gelacht und gesagt, Karlsson sei nur eine Einbildung, nur ein Gedanke. Und Krister hatte ihr recht gegeben, so daß Lillebror gezwungen war, ihn zu verhauen, und da war es dann passiert, daß Krister dem Lillebror jenen Stein an den Kopf geschmissen hatte.
Aber jetzt kamen sie zu ihm, und Krister hatte Joffa mitgebracht. Und um Joffas willen vergaß Lillebror sogar Karlsson, der auf dem Bord im Wandschrank lag. Hunde waren das Süßeste, was es auf der Welt gab, fand Lillebror. Joffa sprang hoch und bellte, und Lillebror legte die Arme um seinen Hals und streichelte ihn. Krister stand daneben und sah ruhig zu. Er wußte ja, daß Joffa sein Hund war und niemand anderem gehörte, und darum mochte Lillebror ihn streicheln, soviel er wollte.
Als Lillebror gerade im besten Streicheln war, sagte Gunilla mit einem spöttischen Kichern:
«Wo hast du deinen alten Karlsson vom Dach? Wir dachten, er wäre hier.»
Erst jetzt fiel es Lillebror ein, daß Karlsson auf dem Bord im Wandschrank lag. Da er aber nicht wußte, was für einen Streich Karlsson diesmal vorhatte, konnte er es Krister und Gunilla nicht erzählen. Darum sagte er nur:
«Pfff, du sagst ja, Karlsson vom Dach ist nur eine Einbildung. Du sagtest gestern, er sei nur ein Gedanke.»
«Ja, das ist er doch auch nur», sagte Gunilla und lachte so, daß die beiden Grübchen zum Vorschein kamen, die sie in den Wangen hatte.
«Denk mal, und dabei ist er das nicht», sagte Lillebror. Er sah sehr überlegen aus.
«Doch ist er es», sagte Krister.
«Das ist er gerade gar nicht», sagte Lillebror.
Er überlegte, ob es einen Sinn hätte, dies «vernünftige Gespräch» fortzusetzen, oder ob es nicht ebensogut wäre, Krister gleich eine runterzuhauen. Aber ehe er sich noch hatte entscheiden können, hörte man aus dem Wandschrank ein lautes und vernehmliches «Kikeriki».
«Was war denn das ?» fragte Gunilla und sperrte ihren Mund, der klein und rot wie eine Kirsche war, vor Verwunderung weit auf.
«Kikeriki», machte es noch einmal, und es hörte sich genau wie ein richtiger Gockelhahn an.
«Hast du einen Hahn im Schrank?» fragte Krister betroffen.
Joffa knurrte. Aber Lillebror lachte. Er konnte kein Wort hervorbringen, so lachte er.
«Kikeriki», kam es aus dem Wandschrank.
«Ich mache auf und sehe nach», sagte Gunilla.
Sie machte die Tür auf und guckte hinein. Und Krister sprang hinzu und guckte ebenfalls hinein. Zuerst sahen sie nichts weiter als eine Menge Kleidungsstücke, die hier hingen.
Aber dann hörten sie von oben ein Gekicher, und als sie hinaufblickten, entdeckten sie einen kleinen dicken Mann, der oben auf dem Bord lag. Er lag bequem da, auf den einen Ellenbogen gestützt, und ließ das eine kurze dicke Bein baumeln, und er hatte vergnügte blaue Augen, die hell leuchteten.
Weder Gunilla noch Krister sagten zunächst ein Wort, nur Joffa knurrte von neuem. Als Gunilla aber ihre Sprache wiedergefunden hatte, sagte sie:
«Wer ist das?»
«Nur eine kleine Einbildung», sagte die absonderliche Gestalt da oben auf dem Bord und ließ das eine Bein noch mehr baumeln. «Eine kleine Einbildung, die hier liegt und sich ausruht. Kurz gesagt — ein Gedanke!»
«Ist das... ist das...» stammelte Krister.
«’n kleiner Gedanke, der daliegt und kräht, schlicht und recht, nichts weiter», sagte der kleine Mann.
«Ist es Karlsson vom Dach?» fragte Gunilla flüsternd.
«Ja, was denkst du sonst?» sagte Karlsson. «Denkst du, es sei die alte Frau Gustafsson aus Nummer zweiundneunzig, die sich hier heraufgeschlichen und für eine Weile zusammengerollt hat?»
Lillebror lachte nur, weil
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