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Karma-Attacke (German Edition)

Karma-Attacke (German Edition)

Titel: Karma-Attacke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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vergewissern. Alles war bemalt. In den Giebeln Sprüche und Bilder. Kriegsdarstellungen.
    Italienische Touristen kamen ihr entgegen. Eine fröhliche Familie, laut, ausgelassen und mit Einkaufstüten bepackt. Ein pausbäckiges Mädchen in Viviens Alter, aber doppelt so schwer wie sie, aß mit den Fingern Pommes aus einer MacDonald’s-Tüte.
    So möchte ich sein, dachte Vivien. So voller Vertrauen mit Mama, Papa und meinen Geschwistern einfach Urlaub machen, spazieren gehen, einkaufen und Pommes essen. Nicht ständig diese Todesangst spüren, diese Unsicherheit, ob ich nun in der Wirklichkeit bin oder auf Thara. Ich will unterscheiden lernen, was Wahnvorstellungen sind und was die Realität, aber das haben sie mir in all den Jahren nicht beigebracht. So eine Holzbrücke reicht aus, und ich rutsche ab.
    Sie sah der italienischen Familie nach. Der Gedanke, dass es einen Planeten namens Thara gab, dass ihre Seele von dort auf die Erde gekommen war und dass sie hier von Hillrucs gejagt wurde, erschien ihr für Sekunden vollkommen wahnsinnig. Sie musste sogar lachen. Dann kamen die Bilder zurück. Ihre zerfetzte Mutter. Der Kopf von Frau Dr.Schumann auf dem Küchentisch. All das Blut und die Leichenteile. Die kriechende Hillruc-Brut.
    Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie wieder rannte. Sie hatte das Ende der Brücke erreicht. Aber auf dieser Seite des Sees wollte sie gar nicht bleiben. Sie wollte zurück zum anderen Ufer, dahin, wo auch der Professor war. Ihre einzige Rettung in diesem Meer von Irrsinn.
    Plötzlich fühlte sie sich wie im Inneren eines Conga gefangen. Als sei diese Brücke sein riesiger Leib. Und zugleich wusste sie, dass dies nur eine Fantasie war, eine alte Angst. Eine Thara-Angst.
    Sie sprang von der Brücke auf die Straße, als würde sie sich aus einem offenen Maul retten. Aus der Entfernung betrachtet, sah die Brücke wieder zauberhaft aus, lauschig, ein Ort für Verliebte.
    Jetzt, da sie die Freiheit hatte, zu gehen, wohin sie wollte, bewegte sie sich fast magisch angezogen zum Hotel zurück. Sie spürte, dass sie noch gar nicht genug Spielraum hatte, um wirklich weit wegzulaufen. Gerade war sie kurz davor gewesen, in völlige Panik abzukippen. Wenn sie in diesem Zustand gefangen war, konnte ihr nur Professor Ullrich helfen.
    Je näher sie dem Hotel kam, desto ruhiger wurde sie. Es war, als spüre sie seine Anwesenheit. Er schlief zwar, doch wenn sie ihn brauchte, würde er für sie da sein.
    Sie überlegte, ob sie jemals mit solchen Gefühlen an ihren Vater gedacht hatte. Professor Ullrich war irgendwie an seine Stelle getreten. Ganz früher einmal hatte sie auch ihren Vater gemocht. Sie erinnerte sich nur noch schwach daran. In der Therapie war das alles überdeckt worden. Ihre Kindheit tauchte aus einem dichten Nebel auf und erschien schwarz. Plötzlich war sie wütend auf ihre Therapeuten. Sie hatten kein gutes Haar an ihrem Vater gelassen. Sie hatten ihr Verhältnis zu ihm zerstört. Sie hatten ihn verdächtigt und für alles verantwortlich gemacht. Ihrer zerrissenen Seele hatte das alles nicht geholfen. Sie war erleichtert gewesen, als Professor Ullrich ihr eine andere Erklärung für ihre Wahnvorstellungen angeboten hatte: einen fernen Planeten.
    Eine Weile hatte sie Thara für eine gnädige Lüge gehalten. Doch als ihre eigenen Bilder immer konkreter wurden, die Erinnerungen genauer, hatte sie zu begreifen begonnen, dass sie einmal Uta gewesen war und auch Lin.
    Sie stand vor dem Hotel. Jetzt fühlte sie sich gut. Nicht mehr von Erinnerungen überflutet und nicht mehr in Panik. Sie beschloss, noch ein Stück in die andere Richtung zu gehen. Mit jedem Schritt würde sie ein wenig mehr Unabhängigkeit gewinnen. Auf der anderen Straßenseite schaute sie sich die Auslagen eines Geschäfts für Priesterbedarf an. Ein goldener Kelch, viele Kerzen mit Kreuzen darauf, ein Priestergewand, gelb leuchtend, mit einem riesigen roten Kreuz und goldenen Borten. Messdienergewänder. Weiße Spitzentaschentücher.
    Vivien musste grinsen. Wo ist schon der Unterschied, dachte sie, ob man an ein Leben auf Thara glaubt und daran, dass Hillrucs auf die Erde kommen, oder an Engelchen im Himmel und Teufel in der Hölle? Der Gedanke erleichterte sie. Damit fühlte sie sich den anderen Menschen näher.
    Von der nächsten Straßenecke aus sah sie das Casino. Neugierig ging sie darauf zu, betrat die Eingangshalle. Das laute Geklimper und Geschepper machte ihr Spaß. Ganz in der Nähe des Eingangs spuckte ein Automat

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