Karma-Attacke (German Edition)
würde ihn im Hexenkessel suchen. Das ist direkt hier um die Ecke in der Haldenstraße, gegenüber dem Casino.»
Er nickte dankbar und rannte los.
76
Vivien rockte ab, bis sie jeden Muskel spürte, bis der Reggae ganz in ihren Körper übergegangen war. Als sie gar nicht mehr konnte, arbeitete sie sich nass und glücklich zur Theke durch. Dort stand ein junger Mann, der ihr gefiel.
Urs Hürlimann hatte feine Gesichtszüge. Glatt rasiert, sodass die Discolichter, wenn sie ihn streiften, einen weißen Schimmer auf seiner Haut hinterließen. Er trug ein seidenes Hemd, die drei obersten Knöpfe offen. Er trank Gin Tonic, als würde er dafür Werbung machen, und spielte mit einer Zigarette. Er hatte dichte Augenbrauen, dunkelbraune Augen und einen vollen, sinnlichen Mund. Als er Vivien anlächelte, blitzten seine Zähne.
Er hatte gerade die zweite Linie Koks gezogen und war in Siegerlaune. Vor wenigen Stunden hatte er seinen Lover an eine Drag- Queen verloren, doch er würde noch an diesem Abend etwas Neues aufreißen. Nicht in einer der üblichen Schwulenbars. Keinen aus der Szene mehr. Mit diesen Tunten war er endgültig fertig, das schwor er sich mit jedem Glas.
Hier konnte er vielleicht einen aufgabeln, der sich selbst noch nicht ganz darüber im Klaren war, ob er nun zu den Heteros gehörte oder nicht. Einen, der nicht schon mit der halben Stadt im Bett gewesen war. Als er Vivien sah, war er sofort begeistert. Er schickte ihr ein Getränk hinüber. Sie ließ es stehen, aber er folgte ihr trotzdem, als sie nach draußen ging, um frische Luft zu schnappen.
Er schlug ihr einen kleinen Spaziergang vor. Am Nationalkai legte er schon den Arm um sie. Minuten später, als er versuchte, sie zu küssen, hielt er sie immer noch für einen schwulen Jungen. Weil sie sich so merkwürdig zierte, meinte er, es mit einem zu tun zu haben, der zum ersten Mal erotischen Kontakt zu einem Mann hatte, und das machte die Sache umso reizvoller.
Dann spürte er Viviens Brüste.
Irgendwo weiter weg ertönte ein leises Lachen. Es hatte gar nichts mit den beiden zu tun, doch es traf Urs an seiner wunden Stelle. Er glaubte sofort, dass er hereingelegt worden war. Sie hatten ihm eine Heteroschnalle untergejubelt, um sich mal wieder über ihn lustig zu machen.
Er stieß Vivien von sich. Im Fallen hielt sie sich an ihm fest. Gemeinsam taumelten sie in Richtung Wasser. Aus den begonnenen Zärtlichkeiten wurde ein Kampf.
«Glaub ja nicht, dass ich mir alles gefallen lasse! Wo sind sie denn, deine Freunde? Wo sind sie denn? Ruf sie doch! Sollen sie dir doch helfen!»
Der Wind wehte von den Schneebergen herüber und schüttelte die Baumkronen. Vivien erlebte die Szene anders als Urs. Sie wurde angegriffen. Der Hillruc hatte sie gefunden. Sie war mit ihm gegangen. Bevor die Falle zuschnappte, wehrte sie sich, wie der Professor es ihr beigebracht hatte. Sie spreizte Mittel- und Zeigefinger zu einem V und stach damit in die Augen von Urs.
Das Augenlicht verlor er nicht, doch sie tat ihm furchtbar weh. Sein Verstand löste sich auf vor Schmerz. Er prügelte auf Vivien ein, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Als er bereits glaubte, gewonnen zu haben, wurde er von etwas gepackt, das unendlich viel stärker war als er. Das Letzte, was er von dieser Welt hörte, war das Geräusch, mit dem sein Seidenhemd zerriss.
Da war noch ein anderes Geräusch, doch sein Gehirn weigerte sich, es zu identifizieren.
77
Wust mit seiner Superschüssel auf dem Dach hörte die Nachricht als Erster. Er verbrachte die Nacht vor dem Fernseher, switchte durch vierundfünfzig Programme. Erst gegen Morgen wurde ihm klar, dass er gar nicht Ablenkung suchte, sondern eine Antwort auf die simple Frage: Soll ich morgen früh kündigen oder nicht?
Dann bekam er in den Frühnachrichten des Schweizer Fernsehens die entscheidende Information. Eine zerfetzte Leiche, wie von wilden Tieren angefallen und ausgeweidet, war in Luzern am Nationalkai gefunden worden.
Bis die Nachricht über den offiziellen Dienstweg zu Staatsanwältin Benthin und van Ecken gelangte, würden noch sechsunddreißig Stunden vergehen. In der Zeit konnten sie längst in Luzern sein.
Wust genoss es, die beiden aus den Betten zu klingeln.
«Ich weiß, wo Vivien Schneider ist! Wenn alle diese Morde in ihrer nächsten Nähe geschehen, dann sollten wir den nächsten Flieger nach Luzern nehmen!»
Doch auch dieser Sieg wurde gleich in eine Niederlage umgewandelt.
«Luzern hat keinen Flughafen. Trommeln Sie
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