Karma-Attacke (German Edition)
Silbergeld aus. Davor ein Mann in Professor Ullrichs Alter, der aber gebrechlich aussah und schwach, ja, hilfsbedürftig. Er strahlte über das ganze Gesicht, freute sich über seinen Gewinn. Er hatte nur noch wenige Zähne im Mund, doch seine Augen leuchteten jugendlich.
Vivien überlegte, ob sie den Fünfzigfrankenschein zu Kleingeld machen sollte, um sich wie die anderen so ein Körbchen zu holen, mit dem man an einem Geldspielautomaten stehen und spielen konnte. Aber dann schaute sie nur, ging herum und beobachtete.
Eine Frau mit knallrotem Kleid und ausgetretenen weißen Schuhen saß auf einem Barhocker zwischen zwei Geldspielautomaten und warf in beide Münzen hinein. Dann hielt sie das mittlere Zahlenfeld zu, schloss die Augen, sagte etwas, eine Beschwörungsformel vielleicht. Aber es funktionierte nicht, die Frau verlor.
Die Menschen im Casino beschäftigten sich nicht miteinander, sondern nur mit Automaten. So war dieser Raum zwar voller Leute, aber jeder war für sich allein. Vivien musste nicht befürchten, angesprochen zu werden. Das gefiel ihr. Doch dann wurden ihr die Lichter zu viel. Das Bimmeln, Klingeln, das Summen der Geräte verschwammen in ihrer Wahrnehmung zu einem anschwellenden Lärm. So viel an wechselnden Bildern und Geräuschen konnte sie noch nicht vertragen. Langsam zog sie sich aus dieser sich drehenden Zauberwelt zurück.
Draußen erregte sie die Aufmerksamkeit einiger Jugendlicher, denn sie tastete die Hauswand ab. Was sie fühlte, war echt. Sie drückte die Faust gegen den Rauputz und drehte sie langsam, als wollte sie sie ins Gemäuer schieben. Dabei riss die Haut über den Knöcheln. Es schmerzte.
Vivien leckte das Blut von ihrem Handrücken und fühlte sich wieder lebendig. Von der anderen Straßenseite klang Reggae herüber. Bob Marley, No woman, no cry . Ihr Körper nahm den Rhythmus auf, noch bevor die Musik wirklich an ihr Ohr drang.
Der Laden hieß «Hexenkessel». Vivien überquerte die Straße, ohne auf die Autos zu achten. Jugendliche standen rauchend vor der Tür. Drei Jungs, ein Mädchen. Vivien ging an ihnen vorbei.
Ein muskulöser Türsteher mit kurzem weißem T-Shirt stoppte sie. Seine Körperhaltung wirkte einschüchternd, aggressiv, aber er lächelte sie freundlich an, verlangte Eintrittsgeld und wollte ihr einen Stempel auf die rechte Hand drücken. Sie hielt ihm die unversehrte linke hin. Er wollte ihr noch ein Getränk anbieten, doch da war sie schon im Gewühl untergetaucht.
Diese Enge mochte sie. Sie ließ sich bis zur Tanzfläche schieben. Ein paar Jungs mit Rastalocken gefielen ihr. Sie gesellte sich zu ihnen und sprang mit ihnen im gleichen Rhythmus.
No woman, no cry.
75
Peter Ullrich war in einen Albtraum abgeglitten. Die Bettdecke hatte er längst zerfetzt. Ohnmächtig musste er zusehen, wie Vivien von einem Hillruc vergewaltigt wurde. Sie brüllte um Hilfe, wehrte sich. Doch der Hillruc nahm sie lachend. Er mochte solchen Widerstand.
Da konnte Peter Ullrich sich gut hineinfühlen. Je mehr sie zappelte und sich wehrte, je mehr sie kreischte, kratzte und biss, desto geiler wurde der Hillruc. Sie schrappte mit ihren Fingernägeln durch sein Gesicht, wollte ihm die Augen ausstechen, da spürte Peter Ullrich die brennende Wunde an seiner eigenen Wange. Ich bin es, dachte er. Ich bin es ja selbst. Was tue ich!
Er schreckte hoch und schaltete das Licht an. Das Bettlaken war zerrissen, Daunen flogen im Zimmer herum. Vivien war nicht da.
Wieder einmal war sie abgehauen. Vivien, das Fluchttier. Wütend riss er seine Hose vom Stuhl und schlüpfte hinein. Das Hemd, die Jacke. Die Lloyd-Slipper. Auf Socken verzichtete er.
Dann rannte er die Treppe hinunter. Kurz vor der Rezeption blieb er noch einmal stehen, fuhr sich durchs Haar und bemühte sich, einen normalen Eindruck zu machen. Nicht auffallen. Bloß nicht auffallen.
Mit heiserer Stimme fragte er Frau Moser, ob sie seinen Sohn vielleicht gesehen habe.
«Ja», sagte sie, «vor ein paar Stunden. Er wollte wohl noch spazieren gehen.»
Er stürmte nach draußen. Wohin? Wohin?, fragte er sich und kam sich vor, als hätte er sämtliche Instinkte verloren.
Schließlich kehrte er noch einmal um. Er fand es demütigend, aber er tat es. Er fragte Frau Moser, ob es hier in der Nähe einen Platz gebe, den junge Leute bevorzugt aufsuchten.
Sie lächelte. Er war nicht der erste Vater, der nachts auf die Suche ging. Meistens waren die Väter allerdings um ihre Töchter besorgt. Seltener um die Söhne. «Ich
Weitere Kostenlose Bücher