Karma-Attacke (German Edition)
das Team zusammen. Wir nehmen den Learjet bis Freiburg, und dann…» Den Rest verschluckte van Ecken. «Ich informiere Frau Benthin. Wir treffen uns in zwanzig Minuten.»
Wust räusperte sich. «Ich habe die Staatsanwältin zuerst angerufen.»
Eisiges Schweigen am anderen Ende der Leitung.
«War das falsch?»
«Nein, nein, alles in Ordnung», versicherte van Ecken, doch für Wust hörte es sich an wie: Das werden Sie noch bereuen.
Tom hörte etwa zwei Stunden später davon. Aufgeregt rief Julia ihn an und berichtete, in Luzern sei eine Leiche gefunden worden. Ihre Mutter habe es ihr gerade erzählt. Genau wie Rottmann. Noch während Julia sich in Einzelheiten erging, griff Tom nach seiner Camel-Tasche. Er legte nicht mal den Hörer auf. Julia redete noch eine Weile weiter, ohne zu merken, dass er gar nicht mehr zuhörte.
Er musste fast vierzig Minuten auf den Zug warten und nutzte die Zeit, um sich mit Proviant einzudecken. Dann stand er vor den Schaufensterauslagen. Handys für Centbeträge. Gaspistolen. Pfeile. Und mittendrin ein Dolch. Ein Perlmuttgriff, an den Seiten und oben am Knauf vergoldet. Drei bunte Glassplitter, wie Edelsteine geschliffen, als Verzierung. Noch wenige Tage zuvor hätte er das Ding für den letzten billigen Kitsch gehalten. Jetzt schien es ihm genau die Waffe zu sein, die er brauchte.
Angeblich hatte das Messer mal 179 Euro gekostet. Die Glassplitter seien echte Diamanten, behauptete der Verkäufer.
Tom grinste. «Ja, ja, schon gut. Ich nehme es.»
Er bekam es für 29,80, mit Scheide, und warf es in seine Camel-Tasche.
78
Der Raumlüfter kam gegen die Nebelschwaden nicht mehr an. Seit Stunden saß Vivien unter der Dusche. Ihre Haut war rot und aufgeweicht, die Kopfhaut brannte, sogar die Haarfarbe wurde durch die ständige Berieselung ausgewaschen, doch Vivien konnte einfach nicht aufhören.
Zusammengekauert hockte sie da, drückte sich an die Kacheln. Sie wusste, dass mit dem feuchten Nebel die Congas kamen, aber die fürchtete sie jetzt nicht. Sie wollte sich in diesem Nebel auflösen, zur Decke hochsteigen und verschwinden. Sie wollte einfach herausgeblasen werden ins Weltall, zurück ins Nichts, das sie hatte durchqueren müssen, bevor sie von Thara zur Erde gekommen war. Auf der Erde wollte sie nicht bleiben, und nach Thara wollte sie auch nicht. Sie wollte endgültig tot sein. Jede Wiedergeburt erschien ihr als Drohung, jedes Leben als Qual. Seit sie die geschlossene Abteilung verlassen hatte, empfand sie die Welt um sich her als verrückt.
Unter dem heißen Wasserstrahl suchte sie Geborgenheit, und zugleich fühlte sie sich wie ein Krebs, der gekocht und verspeist werden sollte. War ich auch das einmal, dachte sie voller Schrecken, ein Tier auf der Speisekarte der Menschen? Bin ich einst, zerteilt von den Händen des Schlachters, in einer Küche gelandet, gekocht und garniert auf einem Teller serviert worden?
Wenn sie an sich hinuntersah und mit dem Blick dem Strom des Wassers zum Abflusssieb folgte, sah sie immer noch, wie das Blut von ihrer Haut gespült wurde. Aber sie wusste, dass das nicht stimmte. Inzwischen hatte sich auch die letzte verkrustete Stelle unter ihren Fingernägeln aufgelöst.
Nie würde sie aus dieser Badezimmerecke wieder herauskommen, nie. Zumindest nicht lebendig. Sollte er doch rufen, so viel er wollte. Sollte er doch flehen. Sollte er betteln. Wenn sie ihn anschaute, sah sie manchmal Josch. Dann wieder Toi, ihren Vater und schließlich sich selbst.
Wieder tauchte er in den Nebelschwaden auf, versuchte, sich ein Stückchen Sicht freizuwedeln, und griff an die Armaturen der Dusche. Seine Hand kam ihr vor wie eine Klaue. Sie schlug nach ihm, kratzte. Dann biss sie zu.
Seine Berührungen waren wie Peitschenhiebe, seine Umarmungen wie Fesseln.
Der heiße Regen hörte auf. Sie spürte es nicht auf der Haut, sie hörte es. Diese Stille. Als habe ein Ata sich erhoben und gebrüllt.
Professor Ullrich versuchte, sie aus der Duschkabine zu heben. Ihre Zähne zerfetzten die Haut über seinem Handgelenk. Sie krallte sich in seine Haare. Er spürte, wie sie ein ganzes Büschel ausriss.
Gemeinsam fielen sie auf den glitschigen Badezimmerboden und rangen miteinander. Nach kurzer Zeit ging Viviens Widerstand in Weinen über. Plötzlich klammerte sie sich an ihn. Sein Kopf und sein Handgelenk schmerzten entsetzlich, aber er versuchte, ruhig und freundlich zu bleiben. Er führte sein Handgelenk zu den Lippen, saugte Blut aus der Wunde und spuckte es aus,
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