Karma-Attacke (German Edition)
willst meinen Vater umbringen?»
«Ich hätte es längst getan, wenn ich mir sicher wäre.»
«Aber ich denke …»
«Ja, ich glaube, dass er es ist. Ich glaube es. Aber ich will die absolute Sicherheit. Ich will dich zurückführen, Vivien. Bis wir Klarheit haben.»
«Du meinst, ich kann es in der Rückführung erkennen?»
«Natürlich. Wenn deine Angst nicht mehr so groß ist, wenn die Bilder klar sind, dann werde ich dich fragen, wer die Person im jetzigen Leben ist.»
«Nein, nein, ich will das nicht! Was, wenn ich mich irre? Dann bringst du meinen Vater um, bloß weil ich einer Fantasie aufgesessen bin!»
«Das wird nicht passieren, Vivien. So, wie du weißt, mit wem du telefonierst, so weißt du auch während der Rückführung, wer jemand im jetzigen Leben ist. Wenn du ihm nahe genug kommst und du ihn auch emotional an dich heranlässt.» Er tippte auf ihre Brust. «Hier, Vivien, weißt du alles. Hier ist alles Wissen begraben. Wir müssen es nur herausholen. Vertrau deinem Herzen. Es irrt sich nicht.»
Vivien fror plötzlich. Sie wollte sich das Sommerkleid wieder anziehen und am liebsten noch eine Jacke umhängen. Sie wünschte sich einen knisternden Kamin, um ihre nassen Füße zu wärmen.
«Wenn ich sage, dass es mein Vater war, wirst du ihn dann umbringen?»
Er nickte nicht einmal. Er sah sie nur an. Natürlich würde er es tun. Ohne eine Sekunde zu zögern. Und sie wusste, wenn ihr Vater wirklich ein Hillruc war, dann konnte der Menschheit nichts Besseres passieren, als dass ihn jemand so schnell wie möglich tötete.
«Ich will diese Verantwortung nicht.» Vivien bekam eine Gänsehaut. «Kann man das nicht anders machen? Kann ich dich nicht zurückführen und du guckst, wer Toi im jetzigen Leben ist?»
Er sperrte sich heftig. Er sagte es nicht, doch sie fühlte seinen inneren Widerstand an der Hand. Er ließ sie los, aber sie hielt weiter fest.
«Vielleicht», sagte Vivien, «ist Toi jemand, den ich gar nicht kenne. Vielleicht…»
Professor Ullrich legte den Kopf in den Nacken und lachte. «Vivien! Das ist doch Blödsinn! Er hat von Anfang an deine Nähe gesucht. Du bist der Grund, warum er hier ist. Wenn ich etwas gelernt habe, dann dies: Die Seelen, die noch etwas miteinander auszufechten haben, reinkarnieren zur gleichen Zeit. Sie suchen sich. Sie wollen das Spiel zu Ende bringen. Toi ist nicht irgendein Unbekannter. Toi ist in deiner Nähe.»
Etwas in seinen Worten machte sie stumm. Sie wusste, dass er Recht hatte. Sie hatte die Anwesenheit dieser tödlichen Gefahr immer schon gespürt. Mit den Jahren war es heftiger geworden. Jetzt besonders stark.
«Wenn du Josch bist, musst du ihn auch erkennen!»
Jetzt wirkte er, als sei er sehr weit von ihr weg. Er spürte alten Gefühlen nach.
«Vivien», sagte er, «ich habe nicht so klare Bilder wie du. Ich weiß viel weniger als du. Ich habe Gefühle. Ich nehme Gerüche wahr. Ich habe heftige Körperreaktionen. Ich spüre es auf der Haut. Aber meine Bilder sind verschwommen. Deine Erinnerungen sind irgendwie frischer. Wir waren gleichzeitig auf Thara. Ich bin so froh, dass ich dich getroffen habe.»
Sie spürte seine Offenheit. So ehrlich war er sonst nicht zu den Menschen. Sie legte einen Arm um seine Hüfte und drückte sich an ihn. Seine Wärme vertrieb die Gänsehaut. Er legte einen Arm um ihre Schultern. Der Wind ließ ihre Haare in sein Gesicht flattern.
«Lange Zeit», sagte er, «habe ich selbst geglaubt, wahnsinnig zu sein. Es ging mir nicht anders als dir. Einmal bin ich während einer Party zur Toilette gegangen, habe die Tür geschlossen und stand mitten in einem flammenden Inferno auf Thara. Ich trank keinen Alkohol. Ich nahm auch sonst keine Drogen. Ich habe versucht, alles irgendwie in den Griff zu kriegen. Ich habe angefangen, Psychologie zu studieren. Ich habe versucht zu verstehen, was mit mir geschieht. Manchmal traf ich Menschen, die freundlich zu mir waren. Doch in mir war ein übermächtiger Fluchtimpuls. Egal, was sie sagten, egal, wie sie sich benahmen: Ich hatte das Gefühl, sie wollen mir ans Leben.»
«Du dachtest, es seien Hillrucs?»
«Ja, ich glaube, so war es. Alles Universitätswissen, das es über die Seele und das Gehirn zu erforschen gibt, habe ich in mich aufgesogen wie ein Schwamm. Aber es half mir nicht weiter. Meine Probleme waren älter. Als ich das begriff, begann ich mich für Reinkarnation zu interessieren. Es war wie eine Befreiung für mich. Doch alle Menschen, die ich traf, hielten die
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