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Karma-Attacke (German Edition)

Karma-Attacke (German Edition)

Titel: Karma-Attacke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Gefühl, auf Watte zu gehen. Der rechte große Zeh war angeschwollen.
    Sie ließ ihren Blick umherschweifen. Da, die Rettung. Eine Wäscheleine. Große Badehandtücher. Ein Kittel. Socken. Männerunterhosen. Ein T-Shirt, XXL. Das nahm sie. Als sie hineinschlüpfte, stellte sie erfreut fest, dass es fast so lang war wie ihr kürzestes Kleid.
    Sie ging ins Lokal und setzte sich. Es war angenehm warm und auch nicht zu verqualmt. An der Theke saßen zwei Männer, hielten sich an ihren Bieren fest und trank dazu Bessen Genever. Vivien fragte sich, woher sie augenblicklich wusste, wie dieser rote Schnaps hieß. Nie hatte sie ihn getrunken, doch trotzdem war ihr völlig klar, das da war Bessen Genever.
    Die Männer sahen überhaupt nicht sio Furcht einflößend aus. Sie hatten Bierbäuche, doch wirkten damit eher gemütlich. Vivien fühlte sich sicher. Hier würde ihr nichts Schlimmes passieren.
    In der Ecke stand ein höchstens zehn Jahre alter Junge am Flipper. Vielleicht der Sohn von einem der Männer, dem es mit Papi in der Kneipe besser gefiel als bei seinen Spielkameraden. Vivien beobachtete ihn. Etwas an dem Jungen faszinierte sie. Vielleicht war es seine unbeschwerte Art. Er schlug gegen den Automaten und lachte laut, als etwas schief ging. Er befürchtete nichts. Niemand konnte ihm etwas. Dahinten saß sein Vater. Kein Hillruc bedrohte ihn, keine Bomben und kein Hunger.
    Der Junge bemerkte, dass Vivien ihn beobachtete, und schaute zu ihr herüber. Er deutete ihr an, sie könne mitspielen. «Doppelflipp?»
    Sie gesellte sich zu ihm. Ein paar Mal gelang es ihr, die silberne Kugel über eine Wippe hoch gegen die Bumper zu switchen. Der Junge war begeistert. Sein Vater an der Theke ebenfalls, denn jetzt war der Kleine nicht mehr allein. Er brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er sich mit seinem Freund an der Theke weiter unterhielt.
    Die Wirtin, eine Frau mit einem gewaltigen Busen, kam zu Vivien an den Flipper herüber. Sie fragte, ob sie ihr etwas bringen könne. Selbstbewusst bestellte Vivien das Schollenfilet, aber die Schollen waren leider schon aus. Die Wirtin bot stattdessen eine Riesenknackwurst mit Pommes an. Vivien nahm gleich zwei davon und noch eine doppelte Portion Ketchup dazu. Außerdem eine Cola und zum Nachtisch einen großen Becher Vanilleeis mit heißen Himbeeren.
    Die Wirtin schaute sie kritisch an. «Kriegst du das alles auf? Unsere Riesenknackwürste sind wirklich riesig.»
    «Prima», lachte Vivien. «So ist auch mein Hunger.»
    Sie flipperte mit dem Jungen weiter. Sie drückten ihre Körper nah aneinander und vollzogen so etwas wie einen Tanz vor dem Gerät. Mit den Oberkörpern schwangen sie im Rhythmus der Kugel mit. Viviens Kopf war jetzt ganz nah am Ohr des Jungen und sie fragte ihn: «Gibt es irgendetwas, wovor du Angst hast? Ich meine, richtige Angst.»
    «Ja», lachte er. «Mein Mathelehrer.»
    «Beschützt dein Vater dich nicht vor ihm?»
    «Doch. Der kann den auch nicht leiden.»
    «Dann hast du keine wirkliche Angst vor ihm. Gibt es denn etwas, wovon du nachts träumst? Wachst du manchmal ganz verschwitzt auf? Hast du das Gefühl, du hältst es in einem Raum nicht länger aus? Musst du auf einmal weglaufen, obwohl in Wirklichkeit gar nichts Schlimmes passiert?»
    Ihre Worte machten ihm Angst. Er schaute nicht mehr auf die Kugel. Sie fiel auf seinen Flipper. Er reagierte aber nicht. Sie rollte über den Schussarm ins Aus.
    «Hey», fragte Vivien, «was ist?»
    Erst jetzt sah sie, dass er sie mit offenem Mund anstarrte. Er sagte nichts mehr, er schüttelte nur den Kopf. Doch sein Blick und sein offener Mund signalisierten Vivien, dass da doch etwas war. Eine unbenannte, namenlose Angst.
    Die Riesenknackwürste kamen. Sie waren tatsächlich groß. Vivien schaffte die Portion kaum. Während sie aß und die Würstchen immer wieder in den Ketchup tunkte, bemühte Vivien sich, dem Jungen weniger beunruhigende Fragen zu stellen.
    «Seid ihr von hier?»
    Der Junge schüttelte den Kopf. Es war, als hätte er die Sprache verloren.
    Vivien spürte, sie sehr sie ihn erschreckt hatte. Ihr wurde durch seine Reaktion der Unterschied zwischen der Klinik und der Welt hier draußen auf bestürzende Weise deutlich. In der Klinik sprach man über solche Sachen, stellte sich Fragen nach den tiefsten Ängsten. Hier draußen waren die Menschen anders. Oberflächlicher.
    Sie versuchte, von den schweren Themen wegzukommen. Ihr wurde klar, dass der Mensch, mit dem sie in den letzten Jahren am meisten

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