Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
Vater ab und beauftragt Giovanni Bellini mit einer Zypressenallee in Frescotechnik. Farben kosten nur ein Bruchteil von dem, was diese Steine verschlingen.«
»Und nach ein paar Jahren verblassen sie.« Giuliana biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte wieder vergessen, ihre Stimme zu verstellen. Tiefer fuhr sie fort: »Ein Mosaik wird noch in hundert, zweihundert oder dreihundert Jahren in gleicher Pracht die Wände des Palazzo Bragadin zieren.«
»Keiner von uns lebt so lange.«
»Eure Nachfahren, Signore, werden sich ebenso daran erfreuen wie Ihr.«
Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, für sie wurde der Raum gleich heller. »Du hast Recht, Il Sassos Lehrling. Ich werde mich darum kümmern. Der Palazzo Bragadin soll ein Mosaik bekommen, um das uns ganz Venedig beneiden wird.«
Sie erwiderte das Lächeln.
»Jetzt kommen wir zu dir, Giulio.«
Ihr Lächeln gefror, als er ihren Namen mit seltsamer Betonung aussprach. Er hatte doch die Liste, aber statt sie gehen zu lassen, stellte er sich breitbeinig vor die Tür, sodass sie unmöglich an ihm vorbeihuschen konnte.
»Signore?« Sie dachte daran, ihre Stimme wie die eines Jungen klingen zu lassen.
»Was sind deine Aufgaben bei diesem Mosaik?«
»Oh.« Sie musste sich zusammenreißen, um sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen – das wäre mädchenhaft. »Ich arbeite Il Sasso zu, mische Mörtel an, zerkleinere Steine, bringe sie ihm, mache sauber.«
»Du hast die Skizzen gezeichnet?«
»Ich bin begabt dafür, sagt mein Meister. Deshalb lässt er mich zeichnen und nimmt nur einige Korrekturen vor.« Sie hatte sich entschieden, nicht von ihrem Vater, sondern von ihrem Meister zu sprechen, das schaffte mehr Distanz zwischen ihr und Amadeo und machte es ihr leichter.
»Wer überträgt die Skizze auf die Wände?«
» Il Sasso . Ich helfe dabei, ich darf die groben Umrisse zeichnen, und er trägt die Flächen ein.« Sie schluckte. Das war die erste richtige Lüge, die sie ihm erzählt hatte.
Trotz seiner Beinverletzung bewegte Amadeo sich schnell, denn auf einmal stand er vor ihr, griff nach ihren Händen, drehte sie hin und her und ließ ihr keine Chance, sie ihm wieder zu entziehen. »Sehr zarte Hände für einen Steinmetz. Die sehen aus, als schwingen sie lieber den Pinsel als den Hammer.«
»Das täuscht. Als Mosaikleger muss man kein vierschrötiger Klotz sein.«
»Dein Vater ist bedeutend kräftiger, und die zarten Hände wie bei einer Frau … Du erinnerst mich an jemanden, Giulio. Ein Mädchen, das ich bei einem Karnevalsvergnügen auf der Piazza San Marco kennengelernt habe. Hast du eine Schwester, Giulio?«
Da war wieder die eigenartige Betonung ihres Namens. Sie schüttelte den Kopf, in diesem Moment war sie sich ihrer Stimme nicht sicher.
»Hast du wirklich keine Schwester?«
»Nein, ich wüsste es doch. Il Sasso hat keine Tochter. Ich bin sein Sohn, und mein Vater würde eine Tochter nie zu einem öffentlichen Karnevalsfest gehen lassen. Mich leider auch nicht.« Sie schaute zerknirscht nach unten, und endlich gelang es ihr auch, ihm ihre Hände zu entziehen.
»Da bleibt dennoch eine Ähnlichkeit. Das Kinn, die Haare, der Mund.« Er langte nach einer der Strähnen, die aus ihrer Kappe herausgerutscht waren.
Giuliana wollte den Kopf fortziehen und machte es damit noch schlimmer: Statt der Haare erwischte er die Kappe, zog sie ihr vom Kopf und kastanienbraunes, gewelltes Haar ergoss sich über ihre Schultern.
»Nein!« Sie griff mit beiden Händen hinein, wollte das Unglück aufhalten, das längst geschehen war.
»Das ist Frauenhaar.«
Er war einen Moment verblüfft, und ihr gelang es, an ihm vorbei und zur Tür hinauszuhuschen. Im Flur war die Magd immer noch dabei, Boden und Treppe zu scheuern, Giuliana wäre beinahe über ihren Eimer gestolpert. Im letzten Moment konnte sie darüberspringen. Sie machte sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich wieder zu schließen, sondern rannte die Gasse entlang, schlug den Kragen hoch und kümmerte sich nicht um die Blicke der Venezianer.
Bei jedem Ausatmen bildete sich vor ihrem Gesicht eine Nebelwolke, ihre Seiten stachen. Der Februar war in Venedig nicht wärmer als in Verona. In ihrem Geist hämmerten zwei Fragen so laut wie Kirchenglocken: Hatte Amadeo sie durchschaut? Konnte sie sich im Palazzo Bragadin noch sehen lassen?
Sie rannte und rannte, die Stadt war groß, die Gassen verwinkelt. Jemand stellte sich ihr in den Weg.
»Es gibt kürzere Wege als deinen, Giulio.«
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