Karneval der Lust: Erotischer Roman (German Edition)
des Unterkleides hervor. Giuliana fühlte sich wie die Tochter des Dogen. Sie wünschte sich einen dieser großen Spiegel, in denen man sich ganz sehen konnte, statt von oben an sich hinunterzuschauen.
Das dunkelblaue Kleid, das Amadeo hatte anfertigen lassen, war nicht in dem Paket, aber der Anzug in Dunkelbraun für einen jungen Patrizier. Die Hose war weit bis zum Knie, die Ärmel des Wamses durchbrochen, Futterstoff in einem helleren Braun blitzte durch. Der Anzug war vornehmer als ihrer. Aus einem der Ärmel des Wamses fiel ein zusammengefalteter Zettel. Sie hob ihn auf.
»Schäferin«, las sie, und ihr wurde warm ums Herz. Seine Handschrift war gestochen scharf. »Achte darauf, dass niemand diese Sachen zu Gesicht bekommt. Du musst sie geheim halten, darfst sie nur anziehen, wenn du zu mir kommst. Das nachtblaue Kleid behalte ich einstweilen bei mir. Ich lasse es dich wissen, wann ich dich das nächste Mal sehen will.«
Außer der Anrede enthielt der Brief keine liebevollen Worte. Sie war enttäuscht, bei Amadeo wusste man nie, woran man mit ihm war. Er konnte in einem Augenblick freundlich sein und verwandelte sich im nächsten in einen Herrn, strenger noch als ihr Vater.
Die Sachen sollte sie gut verbergen. Sie schaute sich in der Kammer um. An der Wand gab es ein paar Haken, daran hing ihre Giulio-Kleidung, in einer Truhe verwahrte sie ihre Frauenkleider. Verbarg sie das cremefarbene zwischen ihren einfachen Giuliana-Kleidern, würde es zerknittern, und sie hatte so eine Ahnung, dass Amadeo das nicht recht wäre.
Der Dachboden fiel ihr ein. Dort hatten sie nach dem Umzug die leeren Truhen und Körbe untergebracht. Dort war Platz. Sie wickelte alles wieder ein, schlich sich aus dem Zimmer und auf den Dachboden. Der war dunkel und so niedrig, dass sie nicht aufrecht stehen konnte. Sie versenkte das Bündel in der größten Truhe.
Vor ihrer Kammer traf sie dann auf Ana.
Die Magd schaute sie an. Sorge lag in ihrem Blick, Furcht, aber auch Ärger.
»Sie weiß, dass ich ein Geheimnis habe«, dachte Giuliana. »Ich habe nie Geheimnisse vor Ana gehabt.« Sie leckte sich über die Lippen, hatte das Gefühl, unbedingt eine Erklärung abgeben zu müssen, obwohl ihr keine passende einfiel. Ana schüttelte den Kopf, drehte sich um und ging die Treppe wieder hinunter.
Giuliana schlüpfte in ihre Kammer und diesmal gab sie sich keine Mühe, leise zu sein. In diesem Moment kam ihr die Idee, sich als Giulio zu verkleiden und sich als Lehrjunge ihres Vaters auszugeben, nicht mehr so großartig vor wie noch in Verona. Es gab da Schwierigkeiten, die sie nicht bedacht hatte – nie wäre ihr in den Sinn gekommen, sie könnte einem attraktiven Mann begegnen.
»Komm mit, Giulio. Wir haben Arbeit.«
Giuliana nahm den Umhang, den ihr Vater ihr hinhielt, und gemeinsam verließen sie das Haus. Sie hatten bereits die Gasse Ramo di Albanesi hinter sich gelassen, den Rio di Priuli überquert und gingen in Richtung Strada Nova, als Giuliana auffiel, dass ihr Vater sie heute zum ersten Mal Giulio genannt hatte, obwohl sie beide allein waren. Sonst hatte er sie nur in der Öffentlichkeit so genannt und zu Hause Giuliana gerufen. Sie nahm das als ein Zeichen, dass er sich endlich an ihre Rolle gewöhnte, und gähnte hinter vorgehaltener Hand.
Der venezianische Karneval dauerte noch heute und morgen, und für heute Abend hatte Amadeo ihre Anwesenheit gefordert. Gefordert war das richtige Wort, denn er hatte ihr ein Schreiben zukommen lassen, in dem kein einziger liebevoller Satz stand.
»Ich gehe nicht hin«, war ihr erster Gedanke gewesen. »Ich bin nicht sein Eigentum, und so lasse ich mich nicht behandeln.« Die Wut hatte sie eine Weile beschäftigt, bis sie sich an die Drohung erinnerte, mit der Amadeo sie in der Hand hatte. Sie traute ihm ohne Weiteres zu, von seinem Wissen Gebrauch zu machen. Sie musste hingehen, und dann konnte sie ihm sagen, was sie von seinem unverschämten Schreiben hielt. Dieser Gedanke gefiel ihr.
Giuliana und ihr Vater bestiegen ein Lastkahn, das sie für einen Viertel Silberdukaten den Canale Grande entlang und unter der Rialtobrücke hindurch nach San Marco brachte. Dafür mussten sie beim Beladen des Bootes helfen oder den dreifachen Preis bezahlen. Gemeinsam wuchteten sie Körbe mit Nüssen an Bord.
»Wohin gehen wir?«
»Zur Kirche Madonna di San Fantino. Wir haben da einen Auftrag.«
Die Kirche lag im Viertel San Marco, nicht weit entfernt von der Piazza San Marco. Sie war eine der
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