Karneval der Toten
und Mais auf dem Regal und trug die große Tüte zu dem schmalen Schrank neben dem Kühlschrank hinüber. Während er alles behutsam einräumte, bemerkte er, ohne sie dabei anzusehen: »Miss Owen, Sie waren nicht ganz aufrichtig zu mir, stimmt’s?« Er drehte sich um und lächelte sie an.
Sie starrte ihn verständnislos an, die Teedose in der Hand. »Wie bitte?«
»Wie haben Lena Banks oder Viktor Baumann herausgefunden, wer Lulu in Wirklichkeit war?«
»Ja, wie denn?« Die Stimme gehörte Macalvie, der in der Küchentür stand, hinter sich Platt und Wiggins.
Sie sah nacheinander Jury, dann Macalvie und schließlich Platt und Wiggins an. Die Ärmste schien weniger verstört als vielmehr verzweifelt, als hätte sie geahnt, dass dieser Tag kommen würde, könnte nun aber nicht glauben, dass er tatsächlich da war.
Macalvie fuhr fort: »Wir wissen nämlich, dass Sie Lena Banks erschossen haben.« Er zog die Waffe aus seiner Manteltasche und legte sie auf den langen Tisch. »Mary Scotts Waffe, stimmt’s? Damit haben Sie Lena Banks getötet. Diese Chance haben Sie sich wahrlich nicht entgehen lassen. »
Jury hielt sie sanft am Ellbogen und führte sie zu einem Stuhl. »Setzen Sie sich doch hin.« Sie sank schwer auf den Sitz nieder, er nahm neben ihr Platz. Er sah aus, als stünde er ebenfalls unter Beschuss.
Macalvie wartete ab, und als von Rebecca nichts kam, fragte er: »Sie drohte damit, Flora mitzunehmen, nicht wahr?«
Rebecca Owen nickte, räusperte sich und sagte: »Es war Marys Idee. Damals in London, als sie sich bei Brown’s mit Lena Banks traf. Es war eigentlich eine Art Erpressung – die Banks meinte, für eine beträchtliche Summe könnte sie Viktor Baumann möglicherweise davon abhalten, wegen Flora etwas zu unternehmen.«
»Was meinte sie mit ›etwas‹?«
»Das sagte sie nicht. Es war nur eine Andeutung. ›Etwas‹ – vermutlich das, was eigentlich hätte passieren sollen – eine Entführung. Merkwürdigerweise nahm die Polizei an, dass er genau das getan hatte. Mary hatte ja auch furchtbare Angst, weil sie doch diese Herzkrankheit hatte, und falls sie sterben sollte, würde Viktor Baumann nichts mehr davon abhalten, das Sorgerecht für Flora zu bekommen. Er war schließlich ihr Vater. Mary hätte gezahlt, wenn sie das Geld gehabt hätte. Die Frau wollte eine halbe Million Pfund, sagte sie. An dem Tag damals im Garten von Heligan sagte Mary also zu Flora, ich würde sie abholen kommen und nach Little Comfort mitnehmen und sie, Mary, käme an dem Abend dazu und würde ihr alles erklären. Sie solle bloß schön brav sein und mit mir gehen. Ich ging zur Kristallgrotte und versteckte mich dort – es waren nur ganz wenige Leute da -, bis ich die beiden sah. Ich tauschte ihren blauen Mantel gegen einen braunen aus, band ihr ein Kopftuch um, und wir gingen über eine der Zulieferstraßen hinaus. So war ich auch hereingekommen. Wenn uns von den Leuten, die dort arbeiteten, jemand gesehen hätte, wäre es natürlich nichts gewesen mit der Entführungsgeschichte. Dann hätten wir ein Weilchen warten und etwas anderes versuchen müssen.«
»Flora machte das alles gar nichts aus. Für so ein kleines Kind ist sie erstaunlich aufgeweckt. Sie ist wirklich sehr stark.«
Jury sagte: »Das nehme ich Ihnen sofort ab.«
»Wissen Sie, sie hielt das alles für ein Spiel. Flora sollte also bei mir bleiben, bis Mary entschieden hatte, wie es weitergehen sollte. Dann könnte sie wieder zurück nach Angel Gate. Aber dann starb Mary plötzlich. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Flora selbst fürchtete sich vor ihrem Vater. Wenn sie ihn durch dieses Spiel von sich fernhalten konnte, nun, dann wollte sie es gern spielen. Sie liebt ihren Stiefvater.«
»Moment mal«, schaltete sich Macalvie ein. »Sie sagten, Mary Scott hätte Lena Banks das Geld gezahlt, wenn sie es gehabt hätte. Sie hatte es vielleicht nicht, aber ihr Mann doch bestimmt.«
Rebecca schüttelte den Kopf. »Er hätte nicht gezahlt. Er hätte die Polizei eingeschaltet.«
»Und zwar zu Recht«, sagte Jury. »Dann hat Declan Scott es also nie erfahren?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Mein Gott«, flüsterte Macalvie. »Sie haben ihn die ganze Zeit weiter im Glauben gelassen...? Wenn man bedenkt, wie viel dieser Mann durchgemacht hat?«
Rebecca neigte den Kopf. »Ich hatte das Gefühl, ich musste es tun. Mary wollte es so. Solange Flora in Gefahr war, sollte ich sie bei mir behalten. Und das habe ich getan. Aber glauben Sie bloß
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