Karneval der Toten
lag ein Großteil des Gartens in der Zuständigkeit des Landschaftsplaners und der Gartenpfleger, doch es gab noch dieses wilde Fleckchen um das Cottage herum mit den winterlichen Blumen – üppige Schneeglöckchen an der Wand drüben, hier und dort eine Handvoll Narzissenschösslinge, der ausgetrocknete Springbrunnen, der Fußweg vom Cottage zum Haus, von feuchtem Moos bewachsen oder bedeckt von Dornengestrüpp, Efeu, der die alles umgebende Mauer hochkletterte, weiter hinten dann weiße Birken, deren zarte Stämme aussahen, als könnten sie einem heftigen Windstoß nicht widerstehen (die jedoch von der Gartenmauer aus Backstein geschützt waren), die nackten, kupferroten Stängel der Rubrumgräser und das dichte braune Gewirr von Klematis – jeder anständige Gärtner würde das Ganze vermutlich als heilloses Durcheinander bezeichnen, für ihn besaß es jedoch einen merkwürdigen Charme.
Ihm und seinen mäandernden Gedanken mittlerweile vorauseilend, rief Lulu ihm etwas zu. Er überlegte, welche Stufen wohl einen »Plaggenbelag« bekommen sollten. Er seufzte. Sollte er bei einem Drink wirklich darüber reden, wo er sich doch viel lieber über die Vergangenheit unterhalten würde? Seine Vergangenheit, Scotts Vergangenheit, irgendeine Vergangenheit.
Er ging die Stufen hinauf bis zu der Terrassentür, durch die Lulu verschwunden war. Sie war nirgends zu sehen. Vermutlich verstand sie unter dem Ausdruck »hinbringen« bloß, ihm Beine zu machen, ihn in Bewegung zu setzen und dort abzuliefern, wo der Whiskey ins Spiel gebracht wurde.
Melrose blickte sich in dem achteckförmigen Raum um – zu den hohen Fenstern und den dazwischen gehängten Porträts hinüber, zu den sattgoldenen Wänden, die bemalt oder mit Damast bezogen waren, wo der letzte Rest des schwindenden Lichts in blassen länglichen Rechtecken auf dem Fußboden zu sehen war. Die einzige Möblierung waren zwei Sitzbänke, die einander gegenüberstanden, jedoch nicht so dicht, als dass man sich mühelos hin und her unterhalten könnte.
Von dort schritt er einen langen Gang ab, der zu einem Raum mit halb geöffneten Schiebetüren hinunterführte. Etwas weiter lagen Eingangshalle und Vordereingang des Hauses.
Zaghaft zeigte Melrose sich an der Tür dieses Raumes, den vielen Büchern nach wohl die Bibliothek. Ein dunkelhaariger Mann stand neben dem Kaminsims. Es war auch eine Frau zugegen, die Melrose nicht gleich sah, weil sie in einem Ohrensessel mit dem Rücken zur Tür saß. Der Mann selbst war eine beeindruckende Gestalt, die Frau dagegen ziemlich unscheinbar. Declan Scott, ein gut aussehender, (vermutlich in den Augen vieler) tragischer und noch dazu steinreicher Witwer, nach dem die Frauen wahrscheinlich die ganze Allee entlang Schlange standen. Dass diese Frau dabei allerdings große Chancen hatte, bezweifelte Melrose.
Dass Melrose selbst, nicht ganz so hoch gewachsen oder so gut aussehend, aber ebenso steinreich, sich die Frauen nicht gerade wie Kletten vom Anzug schälen musste, lag wohl an einer gewissen Art (sicher unbewusst, dachte Melrose), sich abseits zu halten. Dazu hätte Declan Scott bestimmt weit mehr Grund als Melrose. Seine Frau stirbt, sein einziges Kind verschwindet, und jetzt hat er auch noch eine Leiche im Garten. Der Glückspilz!
»Mr. Plant!« Declan Scott, der sich mit der Frau im Sessel unterhalten hatte, hatte hochgeblickt und ihn gesehen. Er kam auf Melrose zu und streckte ihm die Hand entgegen. Die Frau stellte er ihm als Hermione Hobbs vor.
Melrose ergriff Declans Hand. »Ich freue mich, hier zu sein. Ihr Haus ist wirklich schön.«
»Ja, nicht?« Hermione Hobbs lächelte etwas gezwungen. Hier war eine, vermutete Melrose, die sich dauernd bei anderen einschmeichelte und es manchmal ein wenig leid war.
Als Scott die Whiskeykaraffe einladend hochhob, nickte Melrose bejahend (und wie er hoffte, nicht zu gierig). »Auf dem Weg vom Cottage hierher hatte ich das Gefühl, einen Zeitsprung zu machen », sagte Melrose und nahm den Drink entgegen, den Scott ihm reichte. »Es war ein sehr verführerisches Gefühl, ich meine, die Verlockung, alles einfach nur in mich aufzunehmen.«
»Wissen Sie«, sagte Hermione, »das Gefühl hatte ich auch schon oft.«
Melrose war sich sicher, dass das nicht stimmte.
»Nun muss ich aber los.« Sie stellte ihr Glas auf das Tischchen neben dem Sessel und stand auf.
Declan Scott machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. »Danke für den Besuch, Hermione.«
Als er sie zur Tür begleiten wollte,
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