Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
auf dem Boden verstreut. Seine Matratze und die Laken hatte man in Stücke gerissen.
»Wonach haben sie gesucht?«, fragte Mikhail nachdenklich, während er durch die Räume ging. Er bückte sich, um einen Turm aufzuheben, und schloss seine Finger um die vertraute Schachfigur. Dann entdeckte er Blutflecken auf dem Boden und auf dem alten, mit Schnitzereien verzierten Schaukelstuhl.
»Es befindet sich keine Leiche im Haus«, bemerkte Gregori, während er eine alte, ledergebundene Bibel aufhob. Das Buch war zerlesen, das Leder glänzte an den Stellen, an denen Pater Hummer es so oft berührt hatte. »Doch wir werden die Spur leicht verfolgen können.« Gregori gab Mikhail die Bibel und beobachtete, wie der Karpatianer-fürst das Buch unter dem Hemd an seiner Brust barg.
Gregori neigte seinen athletischen Körper nach vorn.
Glänzendes Fell erschien auf seinen Armen, seine Fingernägel wurden zu Krallen, und sein Gesicht verlängerte sich zu einer Schnauze. Noch während er sich in einen riesigen schwarzen Wolf verwandelte, sprang er bereits aus dem Fenster. Mikhail folgte ihm, rannte zwischen den Bäumen hindurch und wieder zurück, die Nase dicht am Boden. Die Witterung führte vom Dorf weg, tief in den Wald hinein und dann hinauf in die Berge, weit weg von der Hütte, in der sich Jacques und Baven befanden. Wer auch immer Pater Hummer entführt hatte, wollte offenbar keine Über-raschungen erleben.
Seite an Seite hetzten Mikhail und Gregori durch den Wald, zielstrebig und mit tödlicher Entschlossenheit. Hin und wieder überprüften sie die Witterung, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer dem Geruch des Priesters folgten. Die kräftigen Bückenmuskeln der Wölfe spielten unter dem Fell, Herzen und Lungen arbeiteten wie gut 340
geölte Maschinen. Kleine Waldtiere huschten ihnen aus dem Weg und kauerten sich ängstlich im Unterholz zusammen.
Plötzlich nahmen sie einen fremden, stechenden Geruch wahr, der einen Baumstamm auf ihrem Weg umgab. Sie hatten das Jagdgebiet von Mikhails Wölfen verlassen und befanden sich nun im Territorium eines anderen Budels.
Da Wölfe für gewöhnlich keine Eindringlinge in ihrem Gebiet tolerierten, sandte Mikhail einen Ruf an das Alpha-Paar aus.
Der Geruch von Pater Hummers Blut machte es Mikhail und Gregori leicht, die Spur zu verfolgen. Dennoch verspürte Mikhail wachsendes Unbehagen. Er hatte das Gefühl, etwas Wichtiges zu übersehen. Seit geraumer Zeit verfolgten sie bereits die Spur, doch die Witterung schien sich nicht zu verändern. Der Geruch wurde weder frischer noch schwächer, sondern blieb einfach gleich. Plötzlich hörten Mikhail und Gregori ein leises Geräusch über sich, wie von Steinen, die sich aneinander rieben. Sie befanden sich in einer engen Schlucht, an deren Seiten sich steile Hänge erhoben. Beide Wölfe lösten sich augenblicklich in Wassertropfen auf. Die Steinlawine, die auf sie niederging, schlug durch die Nebelschwaden, ohne Schaden anzurich-ten.
Mikhail und Gregori ließen sich aufwärts treiben und lan-deten in menschlicher Gestalt auf der Klippe am Rande der Schlucht. Weder der Priester noch ein Angreifer waren zu sehen. Mikhail warf Gregori einen besorgten Blick zu. »Kein Mensch könnte zu dieser Tat fähig gewesen sein.«
»Nein, der Priester kann diese Strecken nicht selbst zurückgelegt haben, doch kein Sterblicher wäre in der Lage gewesen, ihn so weit zu tragen«, stimmte Gregori nachdenklich zu. »Man hat den Geruch seines Blutes benutzt, um uns hierher zu locken.« Beide Karpatianer suchten die Gegend mit all ihren Sinnen ab. »Es war das Werk eines 341
Vampirs.«
»Er ist klug genug, nicht auch seine eigene Witterung zu hinterlassen«, bemerkte Mikhail.
Ein Wolfsrudel stürzte zwischen den Bäumen hervor, die glühend roten Augen auf Mikhail gerichtet. Knurrend und schnappend sprangen die Tiere die große, elegante Gestalt an, die so nahe am Band der Klippe stand. Plötzlich schien Gregori überall gleichzeitig zu sein. Er warf die wütenden Tiere in die Schlucht oder brach ihnen mühelos das Genick.
Die ganze Zeit über gab er keinen Laut von sich und bewegte sich so schnell, dass seine Umrisse verschwammen.
Mikhail regte sich nicht. Noch immer war seine Seele von Trauer erfüllt. Eine solche Verschwendung von Leben - es war tragisch! Und Gregori tötete beängstigend mühelos, ohne eine Gefühlsregung. Einmal mehr musste sich Mikhail eingestehen, wie ernst die Lage seines Volkes tatsächlich war.
»Du gehst viel zu
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