Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
seine Gesundheit. Niemand fühlte mit ihm.
Etwas in Mikhail schien an Härte und Kälte zu verlieren.
Raven berührte einen Punkt tief in seiner Seele, an dem er sie dringend brauchte.
»Vielleicht sollten wir uns einige Tage nicht sehen. Ich bin noch nie in meinem Leben so müde gewesen.« Sie versuchte es ihm leicht zu machen. Raven blickte auf ihre Hände hinunter. Sie brauchte eine Auszeit. Noch nie hatte sie sich in der Gegenwart eines anderen Menschen so wohl und sicher gefühlt. Sie meinte fast, ihn schon seit Jahren zu kennen. Trotzdem hatte sie Angst, er würde völlig von ihr Besitz ergreifen. »Außerdem schien deine Familie nicht so begeistert davon zu sein, dich in der Gesellschaft einer Amerikanerin zu sehen. Wir sind zu . .. explosiv, wenn wir zusammen sind«, fügte sie beinahe bedauernd hinzu.
»Versuche nicht, mich zu verlassen, Raven.« Der Wagen hielt vor dem Gasthof. »Ich halte fest, was mir gehört. Und du gehörst mir.« Mikhails Worte waren eine Warnung und eine Bitte zugleich. Er hatte keine Zeit für liebevolle Worte.
Dabei sehnte er sich danach, sie ihr zu sagen - und sie verdiente sie, weiß Gott -, doch die anderen warteten. Die Verantwortung lastete schwer auf ihm. Raven hob die Hand und strich Mikhail übers Kinn. »Du bist so sehr daran gewöhnt, deinen Willen durchzusetzen.« In ihrer Stimme schwang ein leises Lächeln mit. »Ich kann allein Ruhe finden, Mikhail.
Darin habe ich jahrelange Übung.«
»Du musst tief und ungestört schlafen. Was du heute Abend >gesehen< hast, wird dich im Schlaf heimsuchen, wenn du mich dir nicht helfen lässt.« Mikhail strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe. »Ich könnte dir die Erinne-52
rung nehmen, wenn du möchtest.«
Raven spürte, dass er es tun wollte, weil er glaubte, es sei das Beste für sie. Und sie sah, dass es ihm schwer fiel, ihr die Entscheidung zu überlassen. »Nein danke, Mikhail«, erwiderte sie leise. »Ich möchte meine Erinnerungen lieber behalten, die guten und die schlechten.« Sie küsste ihn aufs Kinn und rutschte über den Sitz zur Autotür. »Ich bin keine Porzellanpuppe, weißt du? Ich werde schon nicht zerbre-chen, weil ich etwas Beängstigendes gesehen habe. Mir sind schon früher Mörder begegnet.« Raven lächelte ihn an, doch ihre Augen blieben traurig.
Mikhail umfasste entschlossen ihr Handgelenk. »Ja, und es hat dich beinahe zerstört. Das wird nicht noch einmal geschehen.«
Raven schlug den Blick nieder. »Das ist nicht deine Entscheidung.« Wenn die anderen ihn davon überzeugten, dass er seine Fähigkeiten einsetzen sollte, um den wahnsinnigen Mörder zu finden, würde sie ihn nicht im Stich lassen. Wie sollte sie das auch fertig bringen?
»Du hast bei weitem nicht genug Angst vor mir«, erklärte Mikhail vorwurfsvoll.
Raven lächelte und zupfte ihn am Ärmel, um ihn daran zu erinnern, dass er sie losließ. »Was auch immer zwischen uns ist, Mikhail, du weißt genau, dass es nichts wert wäre, wenn du mir in allem deinen Willen aufzwingen würdest.«
Mikhail hielt sie noch einige Sekunden fest, während er seinen Blick begehrend über ihr zartes Gesicht gleiten ließ.
Sie hatte einen so starken Willen. Trotz aller Furcht blickte sie ihm in die Augen und widersetzte sich. Es machte sie krank und brachte sie an den Rand des Wahnsinns, Mörder zu jagen, doch sie tat es immer wieder. Mikhail spürte ihre Entschlossenheit, ihm zu helfen, und ihre Angst vor ihm und seinen Fähigkeiten. Sie würde ihn den Mörder nicht allein 53
verfolgen lassen. Am liebsten hätte er sie in seinem Haus in Sicherheit gewusst. Beinahe ehrfürchtig strich er ihr über die Wange. »Geh, bevor ich meine Meinung ändere«, sagte er und ließ sie abrupt los.
Raven ging langsam auf den Gasthof zu und versuchte, das Schwindelgefühl abzuschütteln, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie bemühte sich, nicht zu schwanken oder zu straucheln, damit Mikhail nicht merkte, dass sich ihr Körper bleischwer anfühlte und jeder Schritt eine große Anstrengung bedeutete. Raven hielt sich aufrecht und schirmte ihre Gedanken ab.
Mikhail beobachtete, wie sie den Gasthof betrat. Er sah, dass sie sich die Schläfen und den Nacken rieb. Sie litt noch immer darunter, dass sie Blut verloren hatte. Es war selbstsüchtig und unter seiner Würde gewesen, doch Mikhail hatte sich einfach nicht beherrschen können. Und nun musste Raven dafür büßen. Sie hatte Kopfschmerzen von den vielen Empfindungen, die auf sie eingestürmt waren, seine
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