Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
keine Sorgen um Mikhail. Wir würden nicht zulassen, dass ihm etwas geschieht.« Jacques führte sie hinaus zum Wagen, der unter den Bäumen am Waldrand stand.
Raven hielt inne. »Hör dir das an. Die Wölfe. Sie singen für Mikhail. Sie wissen, dass er verletzt ist.«
Jacques hielt ihr die Autotür auf und musterte sie eindringlich. »Du bist eine außergewöhnliche Frau.«
»Jedenfalls behauptet Mikhail das immer wieder. Ich finde es rührend, dass die Wölfe ihm Mut zusprechen wollen.«
Jacques ließ den Motor an. »Du darfst niemandem von Mikhails Verletzung erzählen. Es würde ihn gefährden.« Er versuchte, gelassen zu klingen, doch Raven spürte sein Bedürfnis, Mikhail zu beschützen.
Das machte ihn Raven zwar umso sympathischer, doch sie warf ihm trotzdem einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ihr Karpatianer seid so schrecklich eingebildet. Ihr glaubt, dass der menschlichen Rasse neben den telepathischen Fähigkeiten auch noch jegliche Intelligenz fehlt. Glaub mir, ich kann denken und bin durchaus in der Lage, solche Schlüsse selbst zu ziehen.«
Jacques grinste wieder. »Du treibst ihn doch bestimmt in 188
den Wahnsinn. Die Sache mit dem >Oberboss< war schon großartig. Ich glaube, so hat ihn noch nie jemand bezeich-net.«
»Es tut ihm gut. Wenn sich die Leute ihm öfter widersetzen würden, wäre er vielleicht etwas ...«, Raven zögerte, suchte nach dem richtigen Wort und lachte dann leise, »... etwas zugänglicher.«
»Zugänglich? Das ist eine Beschreibung, die nun wirklich nicht auf Mikhail zutrifft. Keiner von uns hat ihn je zuvor so glücklich erlebt«, fügte Jacques leise hinzu. »Danke.«
Er parkte den Wagen im Schatten der Bäume vor dem Gasthof. »Sei heute Nacht und morgen sehr vorsichtig.
Bleibe in deinem Zimmer, bis Mikhail mit dir Kontakt aufnimmt.«
Raven schnitt eine Grimasse. »Ich passe schon auf mich auf.«
Dann zögerte sie. »Sie werden sich gut um ihn kümmern, nicht wahr?« Zwar wollte sie es Jacques gegenüber nicht zugeben, doch sie fühlte sich, als fehlte ihr ein Teil ihrer Seele. Sie sehnte sich nach der Verbindung zu Mikhail, nur um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging.
»Sie wissen, was zu tun ist. Er wird sich bald besser fühlen.
Aber jetzt muss ich zurückfahren. Solange Gregori nicht da ist, bin ich der Stärkste und derjenige, der Mikhail am nächsten steht. Er braucht mich jetzt.«
Mikhail fühlte sich schwach und rang mit den Schmerzen in seinem Bein, seinem Hunger und seinen Schuldgefühlen. Er hatte Raven verletzt und hätte sie beinahe verloren. Wie konnte er nur immer wieder so schwere Fehler begehen, obwohl sie ihm doch alles bedeutete? Er hätte sie niemals belügen dürfen. Raven. Er musste einfach die Verbindung 189
zu ihr aufnehmen, ihre Gedanken spüren und wissen, dass sie da war. Denn die Sehnsucht nach ihr war schlimmer als die Schmerzen und der Hunger. Sein Verstand sagte ihm, dass diese Sehnsucht durch das Ritual ausgelöst worden war, doch auch dieses Wissen half ihm nicht dabei, die Trennung besser zu ertragen.
»Mikhail, trink!« Jacques tauchte neben dem Bett auf und packte seinen älteren Bruder an den Schultern. Zorn verzerrte seine ebenmäßigen Züge. »Wie konntest du ihn so lange leiden lassen, Eric?«
»Er dachte nur an die Frau«, verteidigte sich Eric.
Jacques fluchte leise. »Sie ist in Sicherheit, Mikhail. Du musst trinken, auch um ihretwillen. Keiner von euch kann ohne den anderen existieren. Wenn du nicht überlebst, ist das auch ihr Todesurteil. Bestenfalls verdammst du sie zu einem freudlosen Schattendasein.«
Schließlich atmete Jacques tief durch und verdrängte seine Wut. »Nimm mein Blut. Ich gebe es dir freiwillig und bedenkenlos. Mein Leben ist dein Leben. Gemeinsam sind wir stark.« Er sprach die traditionellen Worte und meinte sie von ganzem Herzen ehrlich. Er hätte sein Leben für Mikhail gegeben. Die anderen begannen mit dem Ritual der Heilung. Sie murmelten den Zauber in der uralten Sprache ihres Volkes und verliehen den Worten einen hypnotischen Rhythmus.
Jacques hörte die Stimmen seiner Freunde und roch den süßen Duft von Kräutern. Die karpatische Erde verfügte über große Heilkraft und wurde mit den Kräutern und dem ebenfalls heilenden Speichel der Karpatianer vermischt und dann auf die Wunden gestrichen. Jacques hielt seinen Bruder in den Armen und spürte, wie seine Lebenskraft auf Mikhail überging. Er dankte Gott dafür, dass er Mikhail helfen konnte. Er war ein großartiger Mann,
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