Karparthianer 01 Mein dunkler Prinz
verbringen würden.«
»Er wusste, dass es mir so schlecht gehen würde, nicht wahr?«, fragte Raven leise, als sie allmählich zu verstehen begann. »Deshalb hat er Sie zu mir geschickt. Er befürchtete also wirklich, ich könnte mir selbst Leid zufügen.«
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Edgar Hummer seufzte leise. »Ja, mein Kind. Die Karpatianer sind uns in manchen Dingen überlegen.«
»Aber ich gehöre nicht zu ihnen. Warum geschehen diese Dinge mit mir?«, wollte Raven verwirrt wissen. »Es ergibt keinen Sinn. Wie kam Mikhail auf den Gedanken, dass mich seine Abwesenheit so quälen würde?«
»Sie haben das Ritual mit ihm vollzogen und gehören nun zu ihm. Sie sind seine zweite Hälfte, das Licht in seiner Finsternis. Kommen Sie mit mir, Raven. Ich werde Ihnen von Mikhail erzählen, bis er sie abholt.«
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Kapitel 8
Raven zögerte. Der Gedanke, mehr über Mikhail zu erfahren, war verlockend, sehr verlockend. »Da ich jetzt weiß, was mit mir geschieht, komme ich sicher allein zurecht. Es ist schon sehr spät, Pater, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil Sie die ganze Nacht draußen gesessen haben, um auf mich zu warten.«
Pater Hummer tätschelte ihr begütigend die Hand. »Aber nicht doch, mein Kind. Ich genieße Aufgaben wie diese. In meinem Alter freut man sich über jede Abwechslung.
Kommen Sie wenigsten mit hinunter ins Gastzimmer. Es brennt bestimmt noch ein Feuer im Kamin.«
Raven schüttelte energisch den Kopf. Instinktiv versuchte sie, Mikhail zu schützen. Der Gasthof beherbergte seine Feinde. Sie würde ihn nicht in Gefahr bringen, gleichgültig, wie schlecht es ihr ging.
Der Priester seufzte leise. »Ich kann Sie nicht allein lassen, Raven, denn ich habe Mikhail mein Wort gegeben. Er tut so viel für die Gemeinde und das Dorf und bittet nur selten um Hilfe.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ich muss bei Ihnen bleiben, falls sich Ihr Zustand verschlimmert.«
Raven schluckte trocken. Irgendwo in diesem Haus schlief Margaret Summers. Zwar vermochte sie es, ihren eigenen Kummer abzuschirmen, konnte jedoch nur allzu deutlich Pater Hummers aufrichtige Besorgnis spüren.
Dann würde es auch Margaret gelingen, die Gedanken des Priesters zu lesen. Entschlossen griff Raven nach ihrer Jacke und verließ mit Pater Hummer das Zimmer, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Sie musste Mikhail unter allen Umständen vor den Mördern beschützen. Der Wunsch, ihn in Sicherheit zu wissen, war tief in ihrer Seele verwurzelt.
Draußen vor dem Gasthof zog Raven den Reißverschluss 202
ihrer Jacke bis zum Kinn hinauf. Als sie einige Stunden zuvor in ihrem Zimmer angekommen war, hatte sie sich gleich umgezogen und trug nun ihre verwaschenen Jeans und ein Sweatshirt. Dichter Nebel waberte dicht über dem Boden, und die Nachtluft war kalt. Sie warf dem Priester einen Blick zu. Seine Intelligenz und Loyalität spiegelten sich in seinen Zügen und seinen hellblauen Augen wider. Er war von der Wache auf dem Balkon durchgefroren und außerdem zu alt, um mitten in der Nacht aus seiner warmen Stube geholt zu werden.
Raven strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und bemühte sich, ruhig durch die Straßen zu gehen. Das Dorf hätte friedlich wirken sollen, doch sie wusste, dass es hier Menschen gab, die fanatisch Jagd auf jene machten, die sie für Vampire hielten. Außerdem lastete der Verlust von Mikhail auf ihrer Seele. Raven sehnte sich danach, nur einen Augenblick lang seinen Geist zu berühren. Verstohlen betrachtete sie den Priester. Sein Schritt war fest, und er machte einen ruhigen, entspannten Eindruck. Pater Hummer schien im Einklang mit sich und der Welt zu sein.
»Sind Sie sicher, dass Mikhail noch lebt?« Die Frage war Raven gegen ihren Willen entschlüpft. Dabei war sie so stolz darauf gewesen, dass sie Haltung zeigte.
»Absolut sicher, mein Kind. Mikhail deutete allerdings an, dass er den ganzen Tag über nicht zu erreichen sein würde.«
Pater Hummer lächelte Raven verschwörerisch zu. »Ich persönlich benutze dazu seinen Pieper. Technische Spielereien faszinieren mich. Wenn ich Mikhail besuche, befasse ich mich so oft wie möglich mit seinem Computer.
Einmal habe ich ihn sogar gesperrt, sodass Mikhail einige Stunden brauchte, um herauszufinden, wie ich es gemacht hatte.« Der Priester schien auf diese Leistung besonders stolz zu sein. »Natürlich hätte ich Mikhail die Lösung verraten können, aber dann wäre es nur der halbe Spaß gewe-203
sen.«
Raven lachte. »Endlich ein Mann nach
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