Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
kleiner Bruder, dass es dir Spaß gemacht hat, fester als nötig zuzuschlagen?«
Jacques' Zähne blitzten kurz auf, als ein schwaches Lächeln über sein Gesicht huschte. Er bewunderte Mikhail dafür, wie kühl er angesichts der doppelten Bedrohung blieb, die der Vampir und einen Moment lang auch der Heiler darstellten. In der Lage zu sein, das 360
Ego des Karpatianers zurückzustellen und Scherze zu machen, kam einem Wunder gleich. Bruchstückhafte Erinnerungen stürmten auf ihn ein, Erinnerungen an Größe, an eine starke Persönlichkeit, die alles für die Erhaltung ihrer Art tat. Seine Arme legten sich um Shea, seine Brücke von seiner verlorenen Vergangenheit in die Gegenwart. Shea reagierte sofort. Sie war innerlich so sehr auf ihn eingestimmt, dass sie keinen zweiten Wink brauchte. Shea schmiegte sich an ihn und erfüllte sein Inneres mit Wärme und Trost.
»Es gibt eine Wurzelart«, erklärte Gregori. »Man kann sie zu einem feinen Pulver verreiben und mit Salbei und zwei Sorten Beeren vermischen. Die Masse wird gekocht, bis sie fest ist und alle Flüssigkeit verdampft ist, und die entstehende Paste wird dann mit dem Gift einer Baumkröte angereichert. Ich bin überzeugt, dass der Vampir dieses Mittel benutzt. Das Rezept ist uralt und kaum noch bekannt, außer bei denen von uns, die Alchemie und schwarze Magie studiert haben. Ich kenne außer mir nur zwei andere, die dieses Wissen haben könnten.«
»Aidan«, sagte Mikhail leise. »Oder Julian.«
»Das ist unmöglich«, widersprach Gregori. »Ich würde ihre Gegenwart in unserem Land spüren. Selbst wenn sie sich abgekehrt hätten, würde ich jeden von ihnen wahrnehmen.«
»Was genau bewirkt diese Droge?«, fragte Shea. Die Identität des Vampirs erschien ihr zweitrangig; sie war weit mehr an den Resultaten einer Mischung, wie Gregori sie beschrieben hatte, interessiert. Sie hatte sich ausgiebig mit Pflanzen- und Kräuterkunde befasst. Ganz gewöhnliche Pflanzen wie Fingerhut oder 361
Rhododendron konnten Lähmungen hervorrufen. Ihr war auch bekannt, dass Krötengift allein tödlich sein konnte. Einzelne Stämme in verschiedenen Teilen der Welt hatten die Wirkung dieses (Uftes entdeckt und verwendeten es, um die Spitzen ihrer Pfeile und Speere hineinzutauchen. Die Kombination von Wurzel, Beeren und Toxin musste irgendwie das Nervensystem lähmen und sogar den Geist angreifen. »Wie wird sie verabreicht?«
»Sie muss in den Blutkreislauf gelangen«, antwortete Gregori.
»Wer könnte nahe genug an einen Karpatianer herankommen, um ihm eine Injektion zu geben? Nicht einmal ein Vampir, der sein wahres Selbst verschleiern kann, hätte die Kraft, um jemanden von Jacques' Format zu überwältigen. Das ist undenkbar«, bemerkte Mikhail.
»Jacques war ein Jäger, ein Verfechter der Gerechtigkeit.
Zu einer Zeit, als Mörder unser Volk dezimierten, wäre er doppelt so vorsichtig wie sonst gewesen.«
»Der Vampir hat ihn hinters Licht geführt. Das ist doch seine übliche Waffe, oder etwa nicht?«, meinte Gregori kühl. »Der Morgen bricht an. Wir müssen uns beeilen.«
Das Prasseln des Regens durchbrach die Stille; der Wind schüttelte die Bäume. Jacques starrte blicklos in den Wald. Flüchtige Erinnerungen tauchten auf und quälten ihn. »Blut. So viel Blut.« Die Worte kamen wie von selbst über seine Lippen. Seine Fingerspitzen strichen abwesend über seinen Hals, und seine Stirn legte sich in Falten. »Es war die Falle eines Jägers, ein grober, fast unsichtbarer Draht. Er riss mir die Kehle auf.«
Niemand bewegte sich oder sagte auch nur ein Wort, 362
um Jacques' Konzentration nicht zu stören. Shea hielt unwillkürlich den Atem an. Sein Gedächtnis wiederzufinden, war ungeheuer wichtig für Jacques, und genau jetzt könnte es Byron das Leben retten. Sie konnte den Schmerz fühlen, der ihn innerlich zerriss, spürte, wie er ihn bewusst abblockte, um sich ganz auf seine Erinnerungen zu konzentrieren. Immer wieder rieb er sich mit dem Daumen über eine Augenbraue und runzelte dann leicht die Stirn. »Ich war geschwächt. Er kam zu mir und bot mir sein Blut an. Ich wollte ihn nicht kränken, aber es widerstrebte mir. Er... er hat mich beunruhigt.« Jacques brach ab und presste seine Fingerspitzen an seine Schläfen. »Ich kann ihn nicht sehen.« Er sah Shea aus gequälten, verzweifelten Augen an. »Ich weiß nicht, wer er ist.«
Sie umarmte ihn, geistig wie körperlich, voller Zorn auf die harten Linien, die sich tief in sein schönes Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher