Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
konnte ihn nicht einem langsamen und qualvollen Hungertod ausliefern. Er litt furchtbare Schmerzen, und er begriff offensichtlich nicht, was um ihn herum vorging. E r war gefangen in einer Welt voller Qualen und Wahnsinn.
»Eins steht fest, Shea, du hast den Verstand verloren«, murmelte sie. Sie wusste, dass das, was sie empfand, mehr war als Mitgefühl und der Wunsch zu heilen.
Irgendein unglaublich starker Impuls in ihr trieb sie dazu, diesen Mann am Leben zu erhalten. Auf eine bizarre Art und Weise lebte sie schon seit Jahren mit ihm zusammen. Er war ständig bei ihr gewesen, in ihrem Bewusstsein; er hatte nach ihr gerufen, sie angefleht, zu ihm zu kommen und ihn zu befreien. Sie hatte ihn hier an diesem Ort des Leides und der Seelenqual gelassen, weil sie nicht an seine Existenz geglaubt hatte. Sie würde ihn nicht noch einmal im Stich lassen.
Die Sonne stand strahlend hell am Himmel. Wenn Sonnenlicht bei dem Fremden dieselbe Lethargie 65
hervorrief wie bei ihr, schlief er jetzt vermutlich tief und fest und würde nicht vor Sonnenuntergang aufwachen.
Es hieß, jetzt sofort zu gehen oder einen weiteren Angriff zu riskieren, wenn er wieder wach wurde. Die Sonne würde ihr die Haut verbrennen. Shea fand ihre Tasche und kramte nach ihrer dunklen Brille. Die Wiese zu überqueren, war die Hölle. Selbst mit den dunklen Gläsern tat das Licht ihren Augen so weh, dass sie unaufhörlich tränten und Shea ihre Umgebung nur verschwommen wahrnahm. Da sie den unebenen Boden kaum erkennen konnte, fiel sie mehrmals hin.
Erbarmungslos brannte die Sonne auf sie nieder. Im Schatten des Waldes boten die Bäume ein wenig Schutz, aber bis Shea ihre Hütte erreicht hatte, gab es auf ihrer Haut keinen Zentimeter mehr, der nicht flammend rot oder mit Blasen bedeckt gewesen wäre.
Sowie sie im Haus war, untersuchte sie ihre geschwollene Kehle, die schlimmen Quetschungen und Wunden. Sie sah grotesk aus, wie ein verquollener Hummer, gedroschen und zerschlagen. Shea rieb ihre Haut mit Aloe vera ein und machte sich dann rasch daran, Werkzeug, Instrumente und Seile zu-sammenzusuchen und in ihrem Truck zu verstauen. Der Camper hatte getönte Scheiben, aber sie würde den Mann zudecken müssen, um ihn in den Wagen zu schaffen. Shea kehrte noch einmal um und holte eine Decke.
Ihr war so schwindlig, dass sie in die Knie ging. Sie war sehr geschwächt. Wenn sie diesen Mann retten wollte, musste sie zuerst sich selbst helfen. Es hatte ein paar Stunden gedauert, zur Hütte zurückzugehen, und sie hasste es, noch mehr wertvolle Zeit zu verschwenden, 66
aber sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie griff auf ihre kostbaren Blutkonserven zurück und bereitete eine Transfusion vor. Die Prozedur schien eine Ewigkeit zu dauern; jede Minute schleppte sich wie Stunden dahin und gab ihr viel zu viel Zeit, sich Sorgen zu machen.
Befand sich der Sarg zu nah am Eingang des Kellers ?
Warum hatte sie nicht darauf geachtet? Wenn er an einer Stelle stand, wo die Sonne auf ihn fiel, würde der Mann bei lebendigem Leib verbrennen, während sie wertvolle Zeit damit vergeudet hatte, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die im Grunde genommen belanglos waren.
O Gott, warum konnte sie sieh nicht erinnern? Ihr Kopf schmerzte, ihre Kehle war wund, und vor allem hatte sie Angst. Sie wollte seine Hand nicht noch einmal an ihrem Hals spüren. Sie wollte nicht daran denken, dass sie vielleicht so achtlos gewesen war, ihn der Sonne auszusetzen. Bei der Vorstellung wurde ihr körperlich übel.
Nachdem die Transfusion, die sie dringend brauchte, endlich durchgeführt war, bereitete Shea in der Hütte alles für die bevorstehenden chirurgischen Eingriffe vor und legte die entsprechenden Instrumente bereit, um den Pfahl zu entfernen und die Wunden zu vernähen.
Zumindest hatte sie Blut, das sie dem Mann geben konnte. Als sie zu der rauchgeschwärzten Ruine zurückfuhr, versuchte sie krampfhaft, an nichts anderes als die Aufgabe zu denken, die vor ihr lag.
Die Sonne ging gerade hinter den Bergen unter, als Shea den Wagen vor dem Kellerabgang parkte und mit einer Kabelwinde ein langes Seil in die Öffnung herunterließ. Voller Angst vor dem, was sie vielleicht 67
vorfinden würde, holte sie tief Luft und stieg die wackelige Treppe hinunter.
Sofort spürte sie die Intensität jener brennenden schwarzen Augen. Ihr Herz klopfte unruhig, aber sie zwang sich, den Raum zu durchqueren, bis sie vor ihm stand, nah, aber außerhalb seiner Reichweite. Er
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