Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
allmählich verzweifelt. Ich muss in eins der Dörfer fahren und unsere Vorräte aufstocken. Wir brauchen Blut und etwas zum Anziehen für dich.« Sie hob eine Hand, als sie den Widerstand spürte, der sich sofort in ihm regte. »Wir haben keine Wahl, Jacques. Ich muss sofort aufbrechen, damit ich gleich morgen früh im Dorf bin.«
Nein! Es ist gefährlich. Das erlaube ich nicht. Es ist viel zu riskant.
Sie ignorierte seinen Protest. »Nur so kann ich bei Einbruch der Nacht wieder hier sein. Ich lasse dich tagsüber nicht gern allein, aber wir brauchen Blut, Jacques. Du erholst dich nicht so schnell, wie du erwartest, weil wir nicht die Menge an Blut haben, die du brauchst. Und so ungern ich auch daran denke, ich weiß, dass du mich mit Blut versorgst. Ich war schon so geschwächt, aber jetzt fühle ich mich viel stärker. Du hast mir dein Blut gegeben, nicht wahr?«
Du darfst nicht gehen.
Sie begriff das schreckliche Grauen, die Leere, die er 174
empfinden würde, wenn sie ihn jetzt allein ließ, den hässlichen schwarzen Abgrund, der ihn verschluckte, wenn sie nicht bei ihm war, und es tat ihr unendlich weh, dass er so leiden musste. All diese Jahre lebendig begraben zu sein, ohne Erinnerungen, und nur Schmerzen und Dunkelheit und Hunger zu kennen, musste tiefe seelische Narben hinterlassen haben.
Ich kann nicht ohne dich sein. Seine Hand fand zu ihrer, und seine Finger schlangen sich um ihre und bildeten ein Band. Für ihn war es einfach. Shea war sein inneres Gleichgewicht, seine geistige Gesundheit - oder das Wenige, was davon geblieben war. Sie war Licht in seiner Dunkelheit. Sie konnte ihn nicht verlassen. Er zog ihre Fingerspitzen an seinen warmen Mund.
Shea spürte bis in die Zehenspitzen ein erregendes Prickeln. Sein Geist stand ihr offen, sodass sie jede seiner Empfindungen fühlen, jeden seiner Gedanken lesen konnte, wenn sie wollte. Dunkle Leidenschaften vermischten sich mit der eisernen Entschlossenheit, sie nicht von seiner Seite zu lassen. Einsamkeit stand drohend vor ihm wie ein gähnender Abgrund. Er war so allein und litt so starke Schmerzen. In ihm waren Leere und Hunger, ein schrecklicher, verzehrender Hunger. Sie entdeckte Tränen auf ihrem Gesicht. Ihre Arme legten sich liebevoll um seinen Kopf und wiegten ihn sanft hin und her. »Du bist nicht mehr allein«, flüsterte sie. »Ich bin hier bei dir, Jacques. Ich lasse dich nicht einfach hier zurück.«
Du denkst immer noch daran, mich zu verlassen. Du kannst deine Absichten nicht vor mir verbergen, Shea. Das habe ich dir schon unzählige Male erklärt. Du bist meine wahre Gefährtin. Zwischen uns kann es keine Täuschungen 175
geben.
Shea neigte sich über ihn. Die dunklen Emotionen, die sein Inneres aufwühlten, wurden für sie beide beunruhigend. Gewalttätigkeit vermischte sich mit Grauen. »Ich habe nie versucht, dich zu täuschen, das weißt du. Ich lüge nicht und treibe keine Spielchen. Wir brauchen Blut, damit es dir besser geht. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
Du kannst mich nicht verlassen, Shea. Diesmal waren seine Worte eine einzige Forderung. Er gab sich nicht mehr nachsichtig wie so oft ihr gegenüber, sondern war auf einmal die verkörperte Macht, arrogant und beherrschend.
Shea seufzte und strich mit den Fingern über die starken Knochen seines Gesichts. »Fang nicht an, mich herumzukommandieren, wilder Mann. Wir brauchen Blut. Und ich habe keine Kleidungsstücke, die dir passen könnten. Hast du eine bessere Idee?«
Warte, bis es mir besser geht und ich mitkommen kann, um dich zu beschützen.
Sie schüttelte den Kopf. »Du verwechselst da ständig etwas. Ich muss auf dich aufpassen. Du bist mein Patient.«
Du bist meine Gefährtin. Es gibt nur eine. Du bist mein.
Nur du.
Sie hob den Kopf und schaute ihn aus ihren grünen Augen forschend an. »Du hast nie mit einer Frau zusammengelebt? Du musst doch schon Sex gehabt haben.«
Karpatianer leben mit keiner Frau außer ihrer Gefährtin zusammen. Sex ist eine rein körperliche Sache, ein Genuss, der im Lauf der Zeit verblasst. Wenn wir unsere Gefährtin nicht 176
finden, verlieren wir nach ungefähr zweihundert Jahren unsere Gefühle.
»Das verstehe ich nicht. Ohne Gefährten können Karpatianer nichts fühlen?«
Nein, nichts, Shea. Weder Zuneigung noch Reue, weder Recht noch Unrecht. Ganz gewiss kein Verlangen. Nach zweihundert Jahren können männliche Karpatianer nichts mehr fühlen.
Ihre Wangen röteten sich. »Du empfindest Verlangen, wenn du mit mir
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