Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Schlossgartenstraße, direkt hinter dem Anwesen der Brauerei Sauer, waren, seit dem frühen Nachmittag die Röttenbacher Kirchweihburschen aktiv. Eine siebenundzwanzig Meter hohe Fichte hatten sie mit Traktor und Anhänger aus dem Wald geholt. Höher als alle Kirchweihbäume der umliegenden Dörfer sollte sie sein. Nun galt es den Baum zu schmücken und in einer schweißtreibenden Aktion aufzurichten. Drei erwachsene Profi-Baumaufrichter unterstützten sie und übernahmen das Kommando.
»Auf gehd’s, als erschdes wird die Bammgroona mid dem Grebbbabier gschmiggd und vergessd die Fohna mid unserm Röddenbacher Wabbn ned!« Ein Wimpel mit dem Röttenbacher Wappen sollte über die Spitze des Baumes hinausragen. Dann hämmerten die Kirchweihburschen eine Flagge Deutschlands und Frankens auf Dreiviertelter Höhe an den Stamm. Andere waren dabei, einen Kranz aus Fichtenzweigen zu binden, der im unteren Drittel den Stamm des Baumes zieren sollte. Endlich war es soweit: Drei unterschiedlich lange Holzstützen, die sogenannten Schwalben, wurden zurecht gelegt. Es ging ans Baumaufrichten. Jede Schwalbebestand aus zwei Heubäumen, wie sie früher die Bauern für den Transport des trockenen Heus benutzten. Jeweils zwei Heubäume waren nahe an ihrem dünneren Ende mit einer schweren, stabilen Kette verbunden. Die Fichte lagerte auf Holzböcken. Das untere Ende des Kirchweihbaumes zielte auf ein tief ausgehobenes Loch, in welches der Baum in schweißtreibender Arbeit eingebracht werden musste. Das Loch war durch schwere, massive Holzkeile gesichert. Umkippen sollte der Kirchweihbaum schließlich nicht. Ein kräftiger Erwachsener, mit einem schweren Vorschlaghammer stand bereit, um das Ende des Baumes, Schlag für Schlag in das Loch zu treiben. Noch war es nicht so weit. Erst musste der Baum in Schräglage gebracht und Stück für Stück aufgerichtet werden, bevor er vertikal in das Loch rutschen konnte. Die Heubäume der ersten Schwalbe lagen bereit. Die Kirchweihburschen schoben die Kettenverbindung unter dem Stamm. »Auf geht’s, baggmers!« Unter lautstarken »Hooo-Ruck, Hooo-Ruck« - Kommandos begannen die Burschen die erste Schwalbe aufzurichten. Zentimeter um Zentimeter hob sich die buntgeschmückte Krone der Fichte nach oben. »Leggsd miech am Orsch, is der Hundsgrübbl schwer!«, entfuhr es einem der jungen Männer.
»Hasd du aa su an Durschd, wie iech?«, fragte die Retta. »Die Marrie schdichd ja heid widder runder, do gehsd ja ei wie a Brimela.«
»A Seidla kenndi edz scho verdroogn«, meinte die Kunni, »gemmer nieber zum Baggofnverein!«
Gleich nebenan, keine zehn Meter von dem Loch entfernt, in welches, Schlag um Schlag der mächtige Stamm des Kirchweihbaumes getrieben wurde, begann das eingezäunte Areal des Backofenvereins. Aus dem Schlot des schmucken Backofens kringelte sich noch schwacher Rauch in den wolkenlosen, tiefblauen Himmel. Duftende Laibe frisch gebackenen Bauernbrotes lagen auf den Tischen bereit und wurden für jeweils drei Euro zum Verkauf angeboten. Die Vereinsmitglieder hatten anlässlich des Baumaufrichtens eine außerordentliche Backaktion organisiert. Natürlich gab es auch Getränke. Die Zuschauer und Kunden bekamen schließlich Durst, bei diesem herrlichen, spätsommerlichen Wetter.
Drei Stunden dauerte die Aktion. Dann stand er da, der mächtige Kirchweihbaum. Kerzengerade, wie ein langer schlanker Finger, ragte er in den blauen Röttenbacher Himmel. Weit oben in der Krone wehten die bunten Krepppapierstreifen lustig im lauen Spätsommerwind.
Jupp Hochleitner gesellte sich zu den beiden Witwen. Unter dem linken Oberarm hatte er einen Laib Bauernbrot eingeklemmt. In der Rechten hielt er eine gut gefüllte Maß Bier im Glaskrug.
»Schaud na hie«, meinte er im Hinsetzen, »wies rumschdelzd auf ihre dinne Baa, die Haabergaß, die kienesische. Die is ja dinn wie a Schdeggerla. Wennsd dera Neblgroah im Finsdern begegnsd, grigsd ja Albdräum in der Nachd!« Lin Sang war gerade in der Schlossgartenstraße eingetroffen und sah hinauf in den Wipfel des schlanken Kirchweihbaumes.
Kirchweihsonntag
Nach dem Gottesdienst begannen die Kirchweihburschen ihren Rundgang durchs Dorf. »Kiegli rausschbieln« war angesagt.
Küchle sind ein in Franken typisches Kirchweihgebäck, das in siedend heißem Butterschmalz gebacken wird. Natürlich geht es heutzutage nicht mehr darum, von Haus zu Haus zu ziehen und um eine Gabe in Form des typischen Kirchweihgebäcks zu bitten. Bargeld ist da schon eine
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