Karpfen, Glees und Gift im Bauch
und schlug peitschend fünf Zentimeter neben der Heringsbüchse auf den Gitterpflastersteinen auf.
»Sakra!«, schimpfte der Gemeindekämmerer. Gustav Haeberle saß ganz aufgeregt auf seiner Bank und scheckerte: »Griesch Gott, Holzi, danaebe!«
»Wardna kummsd scho aa nu dro!«, rief der zurück und konzentrierte sich bereits auf seinen zweiten Schlag. Der Stecken sauste erneut herab. Wieder daneben. So ging das drei weitere Male. Die Zuschauer johlten vor Schadenfreude.
Dann war Gustav Haeberle an der Reihe.
»Gusdav kumm her, du bisd dro! Machs besser!« »Hanoi, wolle mer mol!« Er erhob sich von seinem Platz, schritt in die Mitte des Rondells, nahm seine Brille ab und ließ sich die Augen verbinden. Dann griff er in seine Jackentasche, schmiss sich zwei Tic Tac ein und nahm Aufstellung, nachdem er fünf Mal um die eigene Achse gedreht worden war. Den langen Holzstecken hielt er waagrecht in die Luft.
»Dreh di nach rechds, Gusdav und hald dein Schdeggn in die Lufd hoch, bevorsd drieber schdolbersd. Du bisd viel zu weid hindn. Du mussd mindesdens drei Schridd weider vor!« Alois Holzheimer gab seinem Waiblinger Freund die Anweisungen.
Der verstand außer »drei Schridd weider vor« gar nichts. Doch diese Anweisung nahm er sich außerordentlich zu Herzen. Er wollte es besser machen als sein Freund Holzi. Er hatte vor, die Büchse zu treffen. Hektisch stürmte er drei Schritte vor. Den Pflasterstein, der drei Zentimeter aus den anderen hervorragte, konnte er natürlich nicht sehen. Er war ja quasi blind. Er stieß mit der rechten Schuhspitze dagegen und kam ins Straucheln. Vergeblich versuchte er sein Gleichgewicht wieder zu finden. Mit vier Maß Bier und vier Schnäpsen im Bauch war das gar nicht so einfach. Er ruderte verzweifelt mit den Händen. Der lange Holzstecken störte ihn dabei. Verzweifelt schmiss er ihn von sich. Das Schlagwerkzeug schlug auf dem Pflaster auf und federte zurück. Mitten in Gustav Haeberles nach Gleichgewicht suchende Beine.
Das Unheil nahm seinen Lauf. Der blinde Juniorchef aus Waiblingen, den Holzstecken zwischen den Beinen, schlug einen Haken, änderte seine Richtung, ruderte weiterhin mit den nun freien Händen, setzte zwangsweise zwei weitere Schritte hinzu und ging nun endgültig zu Boden.
Ein tiefes »Dong« hallte über den Platz. Manche der Zuschauer blickten in Richtung des Kirchturms von St. Mauritius. Doch es war der Waiblinger, der mit der Stirn auf dem blechernen Büchsenboden aufschlug. Den Zuschauern stockte der Atem. Doch als Gustav Haeberle sich lächelnd aufrappelte, jubelten sie: »Droffn!« Der Lokalreporter des Nordbayerischen Tageblatts knipste wie der Teufel. »Volldreffer!«, jubelte nun auch der Holzi, als er sah, dass sein Freund den Sturz offensichtlich ohne große Blessuren überstanden hatte. Drei Zentimeter über dessen Nasenwurzel leuchtete eine rote Beule, die schnell an Farbe zunahm. »I moin, jetzt hanni a Hörnle«, gluckste Gustav Haeberle und wurde frenetisch von den Zuschauern gefeiert. »Zugabe! Zugabe!«, forderten sie lautstark. Dann erhielt er seinen Preis in Form eines Gutscheins. »Wos hosdn gwunna, Gusdav, zeich amol her!?« Der Holzi war neugierig geworden. »Allmächd, a grillds Gegerla im Werd vo sex Euro. Do leggsd mi am Orsch!«
Etwas halblinks von Holzi und Gustav saßen Kunni Holzmann und Retta Bauer und sahen ebenfalls dem bunten Treiben zu. Sie hatten ihre Rücken der wärmenden Spätsommersonne zugewandt und genossen das schöne Wetter. »Gscheid haaß!« kommentierte die Retta.
Rechts neben ihr saß Frau Biedermann-Beifuß, die Vorsitzende des Elternbeirats der Grundschule. Sie hatte die Bemerkung von Retta mitbekommen und glaubte, etwas von einem Hasen gehört zu haben. Das irritierte sie.
»Wird da nicht der Hahn herausgeschlagen?«, vergewisserte sie sich, »oder handelt es sich tatsächlich um einen Hasen, wie von Ihnen soeben angedeutet?«
»Vo uns had kaane wos vo an Hoosn gsachd!«, antworte Retta Bauer, fränkisch höflich und knapp.
Nun war Frau Biedermann-Beifuß völlig durcheinander. »Wie kommen Sie denn plötzlich auf Hosen? Ich sprach doch deutlich von Hasen! Was haben denn Hosen mit diesem fränkischen Brauch zu tun?«
»Huusn hamm damid goar nix zu do!«, ergriff nun Kunni Holzmann das Wort. »Iech maan mier brenga do a weng wos durchanander, gude Fraa! Wolln Sie uns vielleichd verorschn? Kenna Sie sich ned endscheidn, ob’s wos ieber Hoosn, Huusn odder Geger, wie die Goggl bei uns haaßn, wissen
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