Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
Vom Netzwerk:
Wir schauten uns alle neugierig an, keiner traute sich aber, den anderen anzusprechen. Gu und ich fragten uns, ob wir den einen oder anderen wiedersehen würden. Seltsamerweise haben wir niemanden aus diesem Restaurant während der Wanderung wieder getroffen. Nach dem Essen erkundeten wir noch ein wenig die Altstadt und versuchten auszuloten, wann die erste Bäckerei am Morgen öffnen würde. Den übrigen Proviant hatten wir schon am Nachmittag besorgt. Ebenso machten wir uns schlau, welchen Weg wir aus der Stadt nehmen mussten. In einer kleinen Kirche beteten wir und zündeten Kerzen mit unseren Wünschen an. Ich war zuversichtlich, dass wir in sicherer Obhut waren.
    Später im Bett schrieb ich noch einmal meine Beweggründe für das Pilgern in mein Tagebuch:
    - Ich will mich selbst entdecken!
    - Ich will meine Mitte finden, auf mich konzentriert sein. Niemand von außen soll mich beschäftigen. Was ist in mir, was will ich, möchte ich? Welche Erwartungen habe ich an mich?
    - Ich will Grenzen erfahren.
    - Ich möchte weg von den Äußerlichkeiten in meinem Leben. Das Quartier hier war da schon mal eine gute Erfahrung.
    - Seit fast drei Jahren lässt mich der Weg nicht mehr los! Ich muss ihn gehen!
    Noch mehr Fragen schwirrten in meinem Kopf! Würde ich mich auf dem Weg neu entdecken oder mich wieder entdecken? Würde ich die Reise nutzen, um eine ganz neue Beziehung zwischen mir und der Welt um mich herum herzustellen? Würde ich Seiten an mir kennen lernen, die mir noch gar nicht bewusst oder lange verschüttet waren? Welche neuen Stärken würde ich freisetzen, welche Kräfte würde ich entwickeln? Welche inneren Abgründe würden sich vor mir auftun? Würde ich Antworten finden?
    Die Nacht war relativ ruhig, nur ab und zu unterbrochen vom Schnarchen, das durch die Tür drang. Wie immer musste ich nachts einmal aufstehen, aber zum ersten Mal war dies mit Unbequemlichkeit verbunden. Es war kalt, ich musste ein Stockwerk tiefer, ich konnte wegen meiner Mitpilger kein Licht machen und draußen war es noch kälter. Ich verfluchte innerlich meine schwache Blase und mein eigentlich so gesundes Trinkverhalten. Nie konnte ich mich während meiner Wanderung daran gewöhnen.
     

1. Pilgertag, Dienstag, 23. Mai 2006
    St. Jean-Pied-de-Port - Roncesvalles
     
    Am Morgen durften wir in der sehr gemütlichen Küche von Madame frühstücken. Es duftete nach Croissants und Kaffee, auf uns wartete das typisch französische petit dejeuner. Erni und Toni, ein älteres Ehepaar aus Salzburg, saßen ebenfalls am Tisch und wir tauschten uns trotz des frühen Morgens über unsere erste Wegstrecke und weitere Reisedetails aus. Beide waren nett, aber doch höflich-distanziert. Wir begegneten ihnen noch oft auf unseren späteren Etappen.
    Gu und ich hatten am vorherigen Abend doch noch einige Dinge aussortiert. Wir deponierten sie auf dem Weg hinaus aus der Stadt im Auto. Nach zähem Ringen mit mir selbst verzichtete ich auf zwei T-Shirts, ein Fleece, den zweiten Reiseführer und weitere Lektüre. Letzteres fiel mir am schwersten, Lesen ist eine meiner großen Leidenschaften. Wie sich herausstellte, war der Verzicht kein Beinbruch, zum Lesen hatte ich nachfolgend kaum Zeit. Der Rucksack war trotzdem schwer, aber mehr konnte ich nicht weglassen! Gu war rigoroser, fast zwei Kilo ließ er zurück.
    Vor uns lagen ungefähr 25 km Wegstrecke und die Höhenzüge der Pyrenäen, dabei hatten wir als höchsten Punkt den Col de Lepoeder mit 1430 Metern zu überqueren. Mir war mulmig zumute, würde ich diese schwierige Strecke gleich am Anfang meistern? Das Wetter ließ sich optimal an, die Sonne schien und wir hatten klare Sicht. Direkt hinter der Stadt ging die Straße steil bergauf, auf diesem ersten Stück stolperte ich zweimal, jedes Mal konnte ich mich rechtzeitig auffangen. Für mich war das ein Zeichen: Ich würde den Weg gehen, ich sollte ihn gehen. Ich fühlte mich angespornt!

     
    Viele Pilger waren an diesem Morgen aufgebrochen, entweder wurden wir überholt oder wir gingen mit flottem Schritt vorbei. Immer nickte man sich freundlich zu oder grüßte sich mit einem französischen »bon chemin«. Je höher wir kamen, desto fantastischer wurde die Aussicht. Vor uns lagen wunderschöne Täler, mit satten Wiesen, auf denen Schafe, Kühe oder Pferde friedlich grasten. Manchmal waren uns die Tiere so nah, dass wir sie hätten streicheln können. Kein Zaun umgab die Herden, so wie bei uns zu Hause. Kleine Wälder unterbrachen das Grün, manchmal

Weitere Kostenlose Bücher