Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
wir unserem ersten Pilger begegnet waren, der auf dem Weg von Santiago zurück nach Hause oder zu seinem ursprünglichen Startpunkt war, wie die Pilger in früheren Zeiten. Immer mal wieder trafen wir so jemanden und jedes Mal hatten wir einen großen Respekt vor ihnen.
In der ersten kleinen Ortschaft nach Pamplona, in Cizur Menor, starteten gerade einige altbekannte Gesichter in den Tag. Es ist nicht so, dass man dann sofort stoppt und sich gegenseitig auf den neuesten Stand bringt. Man entwickelt ein Gespür für sich selbst oder den anderen, was gerade gut tun würde, ein freundlicher Gruß, eine kurze Begegnung oder vielleicht ein Stück Wegbegleitung. Hans-Jakob, ebenso Bert und Theo hatten in Cizur Menor übernachtet. Von ihnen erfuhren wir, dass Nele, die wir zusammen mit Jörg auf unserer ersten Tagesetappe kennengelernt hatten, in Pamplona den Entschluss gefasst hatte, den Weg abzubrechen. Wir waren darüber traurig. Gerne hätten wir sie wieder gesehen.
Nach Cizur Menor verlief der Weg zunächst etwas flach, doch dann ging es langsam bergauf. Schon von Weitem konnten wir den Alto del Perdón mit seinen 735 m erblicken. Der Bergkamm war gesäumt mit unzähligen Windrädern, die sich sehr schnell drehten. Rechts und links des Weges wechselten sich zunächst Felder und kleine Baumhaine ab, später wurde es wilder und kleinere Sträucher wie blühender Ginster waren zu sehen. Je höher wir kamen, umso heftiger wehte der Wind. Trotz der Sonne wurde es zunehmend ungemütlicher, wir waren nass geschwitzt und der kalte Wind zerrte an unseren Sachen.
Oben angekommen blies der Wind uns fast um, sodass wir uns nur kurz den fantastischen Rundblick gönnten. Auch die wirklich eindrucksvolle Pilgerkarawanenskulptur und der Gedenkstein, der auf eine ehemalige Kapelle und ein Pilgerhospital hinwies, konnten uns nicht lange aufhalten.
Wir froren! Der Abstieg nach Uterga war zu Anfang steil und vor allem sehr steinig; ich war froh über meine festen Wanderschuhe. Dann wanderten wir weiter auf einem besonders schönen Weg, neben uns wogte der Weizen in sachtem Wind, es blühten wilde Blumen, wir sahen Klatschmohn und Kornblumen, ringsherum zwitscherten die Vögel. Wir waren so inspiriert, dass Gu ein Lied dichtete und wir es lauthals sangen: »Der Weizen im Winde sich hin und her wiegt, die Augen der Wanderer leuchten vor Glück, die Erde, wie wunderschön vor uns sie liegt. Die Pappeln, sie flüstern ihr ewiges Lied.«
Wir waren so beschwingt, lachten, scherzten. Es war eine ganz andere Wirklichkeit als noch vor Wochen! Kurz vor Uterga passierten wir eine Marienstatue, vor der einladend eine Bank stand. Gu und ich verstanden uns blind, ohne große Worte steuerten wir auf dieses Plätzchen zu. Ein kurzes Gebet und eine kleine Verschnaufpause taten jetzt einfach gut. Es war schön zu spüren, dass uns beiden das Gleiche wichtig war. In Uterga dagegen waren Gu und ich uns gar nicht einig. Dort wollte er in einer Bar unbedingt einen café con leche trinken, ich dagegen hatte keine Lust wieder inmitten des Pilgerpulkes zu sitzen. »Mi, mi, mi, café con leche, mi«, Gu schaute mich an wie der gestiefelte Kater aus dem Film »Shrek«, zum Schreien komisch. Er nahm sogar seine Hände vor das Gesicht, sodass ich nur noch seine flehenden braunen Augen sehen konnte. Ich schüttete mich aus vor Lachen, ging aber weiter. Ich wollte mit Gu alleine sein. »Mi, mi, mi, café con leche, mi«, blieb zwischen uns allerdings ein geflügeltes Zitat.
Wenig später, in Muruzábal, picknickten wir mitten im Dorf am Rande eines Hanges mit Blick auf die darunter gelegenen Felder. Wir hatten in Pamplona Brot, Käse, Tomaten, Schinken und Salami eingekauft und ließen es uns nun unter freiem Himmel bei strahlendem Sonnenschein schmecken. So eine einfache Mahlzeit bekam hier auf dem Camino eine ganz andere Bedeutung. Inmitten dieser idyllischen ländlichen Umgebung schmeckte jeder einzelne Bissen wie ein kleines Festmahl. Essen ist etwas ganz Wichtiges für mich. Essen ist vielfältig, wohltuend, sättigend, sinnlich, in der Zubereitung oft spaßig und spannend, vielfach kommunikativ. Aber wie oft ist man aufgrund der zeitlichen und beruflichen Umstände versucht, sein Essen mal eben schnell als reine Nahrungsaufnahme zu deklassieren. Zu Hause, so versprachen wir uns, sollte uns das nicht mehr passieren.
Gegen Mittag kamen wir in Obanos an. Dort vereinigen sich der Camino Francés und der Camino Aragonés. Es ist ein hübscher, kleiner Ort
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