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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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Pilger doch in der Stadt sind. Wieder wurde die Messe auf Spanisch gehalten, dennoch war uns der liturgische Ablauf wohlvertraut. Es tut gut, dem Gesang und der Orgel zuzuhören, innezuhalten, sich auf sich selbst zu konzentrieren und in sich hineinzuspüren. Den eigenen Gedanken nachzuhängen und sich trotzdem in der Gemeinschaft geborgen zu fühlen. Für mich war die Messe, auch zu Hause, eine Stunde, um Kraft zu schöpfen und gleichzeitig zur Ruhe zu kommen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich, wie so viele andere auch, diesem Impuls sehr oft nicht nachgegeben hatte. Vielleicht aus Bequemlichkeit? Verdrängung? Das Setzen anderer Prioritäten? Was hatte ich nur verpasst!
    Ich ließ die letzten Wanderungen noch mal Revue passieren und freute mich, dass Gu und ich so im Gleichklang waren. Wir hatten das gleiche Tempo, wir lachten viel, schwiegen an den richtigen Stellen, empfanden oft das Gleiche. Auch deshalb war es schön, dass er mich in der ersten Zeit begleitete, aber die Trennung würde umso schmerzlicher werden.
     
     

5. Pilgertag, Samstag, 27. Mai 2006
    Puente la Reina - Estella
     
    Vor uns lagen gut 23 km. Um 6 Uhr liefen wir los, da wir den kühlen, stillen Morgen für uns haben wollten. Sehr leise waren wir aufgestanden, um die anderen Pilger nicht zu stören, einzig die knarrende Tür hatte nicht mitgespielt. Offensichtlich war aber niemand wach geworden, sodass unsere Bemühungen nicht umsonst gewesen waren. Zwielicht, erwachendes Vogelgezwitscher, kein Autolärm, eine fast noch schlafende Stadt, genauso hatten wir es uns vorgestellt. Als wir die Puente la Reina überquerten, dämmerte der Morgen dem Tag entgegen und das erste Rot der Sonne war zu sehen. Unbeschreiblich, unvergleichlich!
    Wir marschierten durch ein Auf und Ab von Hügeln, sahen Weinanbau oder Getreidefelder. Wiederum begeisterte uns die Landschaft. An diesem Tag erfuhr ich, wie man wahrscheinlich Schnecken ernten kann: In einem Distelfeld, das in voller lila Blüte stand, bemerkten wir Hunderte, ach Tausende von Schnecken, die alle auf den Blütenstängeln saßen. Es war ein beeindruckender Anblick. Wir waren fest davon überzeugt, vor einer Schnecken-Zuchtanlage eines Biobauern zu stehen.
    Kleine mittelalterliche Dörfer wie Mañeru und Cirauqui unterbrachen unsere Wanderung durch die Natur. Cirauqui war schon von Weitem zu erblicken. Beide Orte waren so früh am Samstagmorgen wie ausgestorben. Ab 10 Uhr baute ich zunehmend ab, wieder hatte ich in der letzten Nacht nicht besonders gut geschlafen und meine Beine schmerzten höllisch. Ich versuchte, mich mit den vielen bunten Farben der Blumen am Wegesrand zu trösten. Wildblumen, die ihren betörenden Duft abgaben, wuchsen zu Hunderten inmitten der üppigen Vegetation. Die Getreidefelder waren dicht übersät mit sattrotem Klatschmohn. Der Frühling zeigte sich hier im Navarra von seiner schönsten Seite. Die Spanier, die uns nun zunehmend begegneten, waren alle sehr freundlich, immer wieder wurden wir mit einem »buen camino« oder »buenos dias« gegrüßt. Die Schmerzen, vor allem im rechten Bein, wurden dadurch zwar etwas erträglicher, aber bei jedem Schritt spürte ich sie deutlich. Gu war liebevoll um mich besorgt, seine Zuwendung munterte mich auf. »Ich schaffe das schon, so schlimm ist es dann doch nicht«, versicherte ich ihm ein um das andere Mal.
    Kurz vor Villatuerta überholte uns mit einer Affengeschwindigkeit und vernehmlichem Schnaufen ein kleiner, muskelbepackter, sehr drahtiger Mann mit fast kahl rasiertem Kopf in olivgrüner Kleidung. Er verschwand hinter einer Kurve und als wir diese passierten, war er bestimmt schon einen Kilometer entfernt. Der Weg gabelte sich und ich folgte automatisch dem Pilger vor uns, als Gu mich stoppte: »Der Weg geht in die andere Richtung, siehst du, hier ist der gelbe Pfeil, ganz eindeutig. Der Mann vor uns läuft in die falsche Richtung.« Wir schrieen hinter ihm her, aber er war außer Rufweite. »Der Arme, in der Hitze auch noch einen falschen Weg wählen«, so dachten wir. Keine zehn Minuten später, am Ortseingang von Villatuerta, hatte er uns bereits wieder eingeholt, hinter uns hörten wir das Schnaufen, so als ob eine Lokomotive sich näherte. Er grinste uns kurz an und weg war er.
    Vor der Iglesia de la Asunción in Villatuerta machten wir über eine Dreiviertelstunde Rast. Die Kirche lag oberhalb der Stadt, umgeben von einigen Bäumen, in deren Schatten wir nun unsere Isomatten ausrollten und unsere Schuhe zum Lüften

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