Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
Malin und Michael, die im Gras saßen und rasteten. Beide sahen nicht sehr glücklich aus. Wie sich herausstellte, schmerzte das Knie von Michael mehr als je zuvor. Wenig später sahen wir, wie sich Michael beim Laufen quälte. Mit zusammengebissenen Zähnen zog er sein Bein steif hinter sich her. Es sah schlimm aus, schon beim bloßen Zuschauen bekamen wir Mitleid. Wir rieten ihm, dringend einen Arzt aufzusuchen und eventuell eine Pause einzulegen.
Der Weg nach Santo Domingo de la Calzada zog sich hin. Wir wanderten weiter auf einem fast schnurgeraden Feldweg, der durch eine Senke führte, um dann wieder anzusteigen. Wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, sahen wir Pilger an Pilger diesen Weg gehen. Es war ein berührender Anblick. Sie alle strebten vorwärts, der eine langsam, der andere schnellen Schrittes. Leicht wankend oder gerade und hoch aufgerichtet, humpelnd oder leichtfüßig, schweigend oder miteinander kommunizierend, so unterschiedlich sie auf uns wirkten, alle hatten das gleiche Ziel. Als wir den Anstieg geschafft hatten, konnten wir Santo Domingo sehen, die Stadt war zum Greifen nah. Es dauerte aber noch fast eine Stunde, bis wir den Ortskern erreichten. Wir wollten uns ein wenig in der Stadt umschauen und später die Kathedrale mit dem berühmten Hühnerkäfig besichtigen. Gu und ich ließen uns treiben, die Altstadt mit der Plaza Mayor gefiel uns gut. In den Gassen herrschte ein buntes Treiben, Waren wurden vor den Ladenlokalen ausgestellt. Da es noch nicht Mittagszeit war, waren viele Menschen unterwegs und machten die kleine Stadt lebendig. Wir trafen plötzlich Malin und Michael wieder, die trotz Michaels Handicap relativ schnell unterwegs gewesen sein mussten. Gemeinsam setzten wir uns in ein kleines Straßencafé. Es hieß Abschied nehmen, sie hatten sich entschieden hier mindestens einen Tag Pause einzulegen, Michael wollte auch einen Arzt aufsuchen. Er wirkte bedrückt und beschäftigte sich mit der Frage, was wäre, wenn die Schmerzen ständige Begleiter für den Rest des Weges sein würden. Eine Antwort wussten wir alle nicht. Unsere Pause dehnten wir relativ lange aus, wir mochten die beiden. Sie waren offen, verbindlich und hatten einen besonderen Humor, schade, dass wir sie wahrscheinlich nicht mehr sehen würden. Irgendwann mussten wir uns dennoch voneinander verabschieden, von Herzen wünschten wir ihnen einen weiteren »buen camino«.
Gu und ich besichtigten danach die Kathedrale. Wir hatten nun schon so viel über das Hühnerwunder gehört, dass wir uns mit eigenen Augen überzeugen wollten, ob tatsächlich in der Kirche zwei lebende weiße Hühner in einem Käfig gehalten werden. Der Hahn und die Henne sollen an das Wunder von Santo Domingo erinnern. Im 16. Jahrhundert machten deutsche Pilger aus Xanten - Vater, Mutter und der Sohn Hugonell - in Santo Domingo Station. Die Wirtstochter des Hauses, in dem sie abgestiegen waren, fand Gefallen an Hugonell, der aber ihre Liebe nicht erwiderte. Aus Rache versteckte sie einen silbernen Becher in seinem Gepäck und zeigte diesen vermeintlichen Diebstahl an. Nach damaligem Recht stand darauf die Todesstrafe, die der Stadtrichter nach kurzem Prozess auch vollstrecken ließ. Hugonell wurde gehängt. Seine Eltern wollten vor ihrer Abreise noch einmal Abschied nehmen, als sie aber an den Galgen traten, sprach Hugonell mit ihnen. Der heilige Dominikus stützte der Legende nach den jungen Burschen, in dem er ihn auf seinen Schultern trug. Atemlos liefen die Eltern zum Haus des Richters und berichteten vom Geschehen. Dieser antwortete, ihr Sohn sei so lebendig wie die Mahlzeit vor ihm, ein gebratener Hahn und eine gebratene Henne. Im gleichen Moment erhoben sich die Federtiere und flogen davon. So von seiner Unschuld überzeugt, ließen sie Hugonell unverzüglich frei. Seit dieser Zeit erinnern die Hühner an das Wunder. Tatsächlich befanden sie sich in der Kirche in einem schütz verglasten Käfig, zwischendurch konnten wir sie gackern und krähen hören. Die Kathedrale war schön anzuschauen, sie war in mehreren Etappen erbaut und erweitert worden. Der Hauptteil ist romanischen Ursprungs, dieser schlichte und schnörkellose Baustil gefällt mir sehr. Er ist »einfach« und wirkt klar und wahrhaftig auf mich. Zahlreiche Kapellen waren verschiedensten Heiligen gewidmet, beeindruckend auch der aus der Renaissance stammende Hochaltar. Wir stiegen auch in die Gruft hinab, in der die Reliquien des heiligen Domingo - dem Gründer der Kathedrale -
Weitere Kostenlose Bücher