Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
jeweiligen Pilger mussten dazu aufstehen. Es war großartig zu sehen, woher sie kamen: Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Belgien, Schweiz, Brasilien und die Niederlande. Danach sprach er ein Tischgebet und bat um eine Spende für Unterkunft und Essen, die in unserem eigenen Ermessen lag. Am schönsten war dieses Gemeinschaftsgefühl, das an dieser Tafel herrschte. Es wurde gelacht und gescherzt. Gu und Paolo hatten für alle noch eine Überraschung: Aus der Bäckerei hatten sie für uns alle köstliche Plätzchen gekauft und verteilten sie jetzt an uns.
Nach dem Essen räumten wir zusammen auf. Um 22 Uhr war Schlafenszeit, die Kirche wurde abgeschlossen und das Licht ausgemacht. Uns war es recht, waren wir doch alle hundemüde.
Im Gegensatz zum gelungenen Abend war die Nacht furchtbar. Es war hart und ich fror entsetzlich. Die Schnarcher waren wieder zahlreich und trotz Ohropax vernahm ich ein lautes Schnarchkonzert. Zu allem Überfluss stach mich eine Mücke in ein Augenlid, sodass ich am anderen Morgen nicht nur übermüdet, gerädert und steif, sondern auch mit einem geschwollenem Auge aufwachte.
10. und 11. Pilgertag, 1.-2. Juni 2006
Grañón - Belorado - Agés
Die beiden folgenden Tage waren von drei Dingen geprägt: Wunderbare Landschaften und Aussichten, zwei komfortable Herbergen aber Wandern unter erheblichen körperlichen Beschwerden. Nach Grañón gestaltete sich der Weg für mich sehr schwierig. Ich war in sehr schlechter Verfassung: Völlig erkältet, mit Husten, Schnupfen und anschwellenden Mandeln schaffte ich es bis Belorado. So wenig waren wir erst einmal gelaufen, ganze 16 km. Gu, der sich fit fühlte, nahm natürlich auf mich Rücksicht, ich konnte einfach nicht weiter. Ich sehnte mich nach einem einigermaßen komfortablen Bett und wollte nur eines, schlafen. Obwohl es mir nicht gut ging, waren wir wieder früh unterwegs gewesen und hatten Belorado zeitig erreicht. Die überwiegend baum- und schattenlose Gegend der autonomen Region Castilla y Leon, deren Grenze wir an diesem Morgen überschritten hatten, hatte mir den Rest gegeben. Was musste nur passieren, dass Gu und ich das langsame Gehen lernten? Die Herberge war noch nicht geöffnet, sodass wir uns die Zeit auf der Plaza Mayor vertrieben. Ich hatte kaum Augen für dieses schöne, alte Städtchen, das früher Wallfahrern in zwei Hospitälern und neun Kirchen Zuflucht geboten hatte. Eine davon stand noch an diesem sehr einladend wirkenden Platz, die Iglesia de San Pedro.
Ich versuchte, in einer Apotheke Medikamente für mich zu kaufen. Die beiden Damen schickten mich aber unverrichteter Dinge hinaus, in meinem Zustand solle ich besser erst einen Arzt aufsuchen. Schlapp hing ich in meinem Stuhl, selbst mein heiß geliebter café con leche schmeckte mir an diesem Morgen nicht. Endlich gegen 12 Uhr öffnete die Herberge. Wir gehörten zu den ersten in der schon wieder langen Schlange. Die Franzosen, Hans-Jakob und auch einige Spanier, die wir bereits kannten, standen mit uns an, sie hatten alle in Santo Domingo de la Calzada übernachtet. Alle sahen mich mitleidig an. Von vielen Seiten wurden mir Ratschläge oder auch Medikamente angeboten. Gu wurde aufgefordert, sich gut um mich zu kümmern. Es entsteht unterwegs eine Art Pilgersolidarität, man hat sich gegenseitig im Blick. Ich verschlief den gesamten Nachmittag und bekam von dem geschäftigen Treiben in unserem Schlafsaal nichts mit. Gu hatte diese Stunden mit den Spaniern, die wir in der Herbergsküche von Logroño kennen gelernt hatten, sowie dem portugiesischen Paar Fernando und Antonio, mit denen wir schon den einen oder anderen kurzen Kontakt gehabt hatten, verbracht. Sie hatten ihn zum Mittagessen eingeladen. Es gab hinter dem Haus einen Grillplatz und sie hatten gemeinsam Sardinen über dem Feuer geröstet. Er war völlig begeistert und plante deshalb zum Abendessen für uns und Hans-Jakob Lamm zu grillen. In der Zwischenzeit hatte er für mich Medikamente besorgt, die er problemlos bekommen hatte. Gegen Abend, gestärkt durch die Arznei und die Mahlzeit, ging es mir bereits viel besser, obwohl ich fürchterlich aussah: Meine Nase war rot und wund, außerdem hatte ich tiefe Ringe unter den Augen. Ich hoffte auf eine Nacht, die mir weitere Linderung brachte. Wir konnten keinen weiteren Tag hier verbringen. Übermorgen wollten wir in Burgos sein, Gu musste wieder nach Hause. Ich wollte diese beiden letzten Tage nicht mit Krankheit verbringen. In
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