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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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hatte. Wir hatten etwas Besonderes miteinander geteilt, das Band unserer Liebe war noch stabiler geworden. Waren wir vorher schon sehr respekt- und liebevoll miteinander umgegangen, so fühlten wir uns nun noch inniger miteinander verbunden. In vielen Situationen hatten wir uns blind verstanden und in bestimmten Momenten auch das Gleiche gedacht. Wussten wir vor der Reise bereits, dass wir zusammengehörten, so waren wir uns dessen jetzt ganz sicher. Im Hotel fielen wir übereinander her, wir waren hungrig aufeinander nach all der enthaltsamen Zeit. Die Nähe unserer beiden Seelen, über die wir vorher gesprochen hatten, fand nun über unsere Körper zusätzlich Ausdruck. Es war sexy, leidenschaftlich, zärtlich, innig und aufregend. Wir gehörten in jeder Hinsicht zusammen. Ich hatte in der Vergangenheit oft einzelne Tage als die glücklichsten meines Lebens empfunden, aber hier in diesem kleinen Hotelzimmer war ich wirklich glücklicher als je zuvor. Gu sprach an diesem Nachmittag immer wieder davon, wie sehr er mich liebe und er sich freue, mit mir alt zu werden. Auch ich wollte das.
    In dieser Stimmung besichtigten wir die Kathedrale von Burgos. Kirchen haben immer magische Anziehungskraft auf mich gehabt, doch die Catedral de Santa Maria war etwas ganz Besonderes. Sie war gigantisch groß und erstrahlte in dem gebrochenen Weiß ihrer Mauern prachtvoll und schön. Die beiden hohen Türme über dem Westportal sowie die zahlreichen anderen Eingangsportale waren beeindruckend. Es war unmöglich mit meiner Kamera diese Kathedrale einzufangen. Auch im Inneren war sie gewaltig in ihren Ausmaßen, das spürte man unter anderm an der Eiseskälte, die in der Kathedrale herrschte. Wir besichtigten trotzdem in aller Ruhe diese architektonische Meisterleistung der gotischen Baukunst. Wie immer in solchen Augenblicken fragte ich mich, wie Menschen ohne unsere heutigen modernen Geräte zu solchen Leistungen fähig waren. Im Shop der Kathedrale schenkte mir Gu zwei Ketten mit dem T-förmigen »Tau«-Zeichen. Die eine Kette war besonders kunstvoll und sollte von Gu mit nach Hause genommen werden, um dort auf meine sichere und gesunde Heimkehr zu warten. Das andere Tau hing an einem dünnen, aber stabilen Lederband und sollte mich von nun an auf dem Weg beschützen. Das Tau ist der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets und entspricht dem griechischen Tau. In der Bibel wird es als Schutz bringendes Zeichen erwähnt. Papst Urban IV. nannte es ein Symbol christlicher Hingabe. Die Mönche des Antonius-Ordens trugen es als Erkennungszeichen und gaben es den Pilgern mit, auf dass es sie vor Unheil und Krankheit bewahre. So wurde es zum Cruz del Peregrino und ist noch heute eines der mystischen Symbole des Jakobsweges. Ich habe es auf dem Weg Tag und Nacht getragen und fühlte mich damit geborgen und sicher.
     
     

13. und 14. Pilgertag, 4.-5. Juni 2006
    Burgos - Hontanas
     
    Die letzte Nacht hatten wir damit verbracht eng aneinander geschmiegt zu schlafen und ein letztes Mal die Nähe des anderen auszukosten. Ich wollte wie immer früh los, um nicht in die Tageshitze zu kommen. Gu’s Zug sollte um 10.30 Uhr Burgos verlassen. In der Nähe der Kathedrale verabschiedeten wir uns, die ersten Strahlen der Sonne suchten sich ihren Weg und tauchten den Platz, auf dem wir standen, in gleißendes Licht. Wir umarmten uns lange, küssten uns und strichen uns immer wieder gegenseitig über unsere Gesichter. Ich mochte Gu überhaupt nicht loslassen, wollte seine Wärme und seine Liebe ganz in mich aufnehmen, mir jeden Zug seines Gesichtes ganz genau einprägen. Über drei Wochen würde ich ihn nicht sehen! Er fehlte mir schon, obwohl er noch bei mir war. Heute frage ich mich oft, warum ich eigentlich nicht so lange in Burgos geblieben war, bis Gu in seinen Zug eingestiegen war. Wir hätten noch den Morgen zusammen gehabt. Warum wollte ich unbedingt an meinem bisherigen Rhythmus festhalten? War es wirklich nur die Furcht vor der Tageshitze? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es auch der Grund, am Ende des Tages wieder auf bekannte Gesichter stoßen zu wollen, eben nicht unter Fremden zu sein an meinem ersten Abend ohne Gu. Hätte ich den Morgen in Burgos verbracht, wäre es gut möglich gewesen, dass die anderen Pilger mindestens eine Station voraus gewesen wären.
    Nun wanderte ich allein. Was würde sich verändern? Welche Erfahrungen würde ich nun machen? Veränderte sich überhaupt etwas? Zunächst war ich damit beschäftigt, meine

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