Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
schönsten. Ebenso brauche ich diese Zeit, um mir selbst näher zu kommen.« Ich bedauerte sehr, dass ich ihn auf meinem weiteren Weg aus den Augen verlieren würde, da er in Burgos für zwei Tage einen Abstecher nach Madrid unternehmen wollte, um Freunde zu besuchen. Wir drei verabschiedeten uns mit einer festen Umarmung.
Nach der Pause konnte Gu wieder etwas besser laufen. Auch deshalb entschieden wir uns die schönere, etwas längere Variante nach Burgos zu gehen. Wir wollten nicht über die historische, originale Route durch das Industriegebiet und die Neustadt wandern, sondern lieber weiter über Wiesen und Felder und später am Río Arlanzón entlang nach Burgos gelangen. Leider erfanden wir eine dritte Variante. Bis nach Castañares machten wir alles richtig, doch dann verließen uns die gelben Pfeile und wir waren auf uns allein gestellt. Uns wurde erst jetzt klar, wie sehr wir uns auf die Wegweiser verlassen hatten. Was hatten die Pilger früher nur ohne solche Wegmarkierungen gemacht? Ob sie deshalb oft Umwege gelaufen waren? Wir waren entnervt, wollten endlich ankommen. Zum ersten Mal herrschte zwischen uns eine angespannte Stimmung. Woran lag das? Sicher nicht allein an der Tatsache, dass wir uns verlaufen hatten. Waren Gu’s Schmerzen schuld, die mittlerweile wieder glühende Mittagshitze oder war es die bevorstehende Trennung?
Erst eine Stunde nach Castañares erreichten wir müde die Altstadt von Burgos, nachdem wir lange Zeit an einer Ausfallstraße entlangmarschiert waren. Gu’s Weg führte schnurstracks in ein Reisebüro, um sich über Rückfahrtmöglichkeiten zu erkundigen. Anders als bei uns bekam er dort aber keine Auskünfte zu Bus und Bahn, sondern wurde auf den Bahnhof verwiesen. Ich hatte in der Zwischenzeit ein Hotel ausfindig gemacht, es war schön, sauber, nicht zu teuer und in einem schönen Altbau untergebracht. Wir wollten in den letzten Stunden und auch in der Nacht nicht von Mitpilgern umzingelt sein. Wir bekamen ein Zimmer, das nostalgisch-romantisch eingerichtet war und dennoch über modernsten Komfort verfügte. Dunkles, glatt poliertes Holz, roter Marmor, Eichenparkett, Samtstores und dazwischen leichte, sich im Wind bewegende Gardinen erfüllten uns mit Freude. Ein breites Bett mit gedrechselten Pfosten, Kissen und Decken bezogen mit frisch gestärkter Bettwäsche schienen Gu und mich geradezu einzuladen. Unsere Rucksäcke muteten in dieser Umgebung ganz seltsam an. Wir entledigten uns kurz unserer Wanderschuhe, tauschten sie gegen Sandalen aus und machten uns dann auf, einen ersten Blick auf die Stadt zu werfen und noch einiges zu erledigen. Gu wollte noch zum Bahnhof, ich wartete währenddessen in einem Café auf der Plaza Mayor. Es herrschte dort geschäftiges Treiben, es war Samstag und jeder schien auf den Beinen zu sein. Ich genoss es, im Schatten sitzend wieder einmal meinen Beobachtungen nachhängen zu können. In der Nähe musste eine Herberge sein, denn zahlreiche Pilger passierten den Platz. Georg hatte mittlerweile bei mir Platz genommen und erzählte mir den neusten Klatsch vom Camino. Es gibt immer etwas Interessantes zu berichten, diesmal versorgte er mich mit den letzten Nachrichten zu Elisabeth. Wir alle waren beeindruckt von ihrer Zähigkeit und ihrem eisernen Willen den Weg zu schaffen. Diese kleine, zarte Frau hatten wir alle in unser Herz geschlossen.
Als Gu vom Bahnhof zurückgekehrt war, verschwand ich kurz in eine Apotheke, um mich noch mal mit Vitamin C zu versorgen. Als ich sie wieder verließ, prallte ich fast mit Hans-Jakob zusammen. Wäre ich nur eine Minute später aus dem Geschäft gekommen, hätte ich ihn verpasst. Auch er freute sich sehr: »Ich hatte so gehofft, dich und Gu hier zu treffen, da Gu doch morgen nach Hause fährt. Ich möchte mich von ihm verabschieden.« Für mich gehörten solche Begegnungen zur Magie des Camino: Die Menschen, die einem begegnen sollen, die trifft man - früher oder später. Hans-Jakob bat sogar um unsere Adresse, da er sich nicht sicher sei, ob wir uns hier wiedersehen würden und er sich gerne in Deutschland bei uns melden würde. Wir freuten uns sehr, denn wir hatten Hans-Jakob schätzen gelernt und fühlten uns ihm sehr nahe.
Burgos lockte uns mit seinen zahlreichen Tapas-Bars. Auf dem Weg zurück in das Hotel frönten wir diesen köstlichen Leckereien bei einem Glas Vino tinto und ließen die vergangenen Tage Revue passieren. Gu und ich waren uns einig, dass diese Zeit unsere Beziehung gefestigt
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