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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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und sicher. Die Haut des anderen, eines mir unbekannten Mannes, konnte ich deutlich ertasten, seinen Geruch ebenso wahrnehmen. Es war nichts Erotisches an dieser Situation, sondern eine besondere Geborgenheit umfing mich. Meine wie immer vorhandene leichte Unruhe, wenn ich schlafe und in fremden Räumen bin, war wie weggeblasen. Als Kind und auch noch als Jugendliche habe ich vor dem Schlafengehen immer den Schrank, alle Ecken und auch unter dem Bett kontrolliert, ob sich jemand dort versteckt. Meine Decke zog ich stets bis über die Ohren und fühlte mich dadurch geschützt vor allem, was die Nacht eventuell bereithalten sollte. Auch heute noch schlafe ich meistens so ein. Als ich die Augen aufschlug, war alles wie gehabt, niemand war zu sehen.
    Am nächsten Tag saß ich gegen Mittag in einer kleinen Bar im malerischen Dörfchen Villalcázar de Sirga, direkt vor der Iglesia de Santa Maria La Blanca. Die große und sehr helle Kirche mit der ausladend wirkenden Treppe davor schien mir der richtige Rastplatz zu sein. Außerdem herrschte mit mehr als 35 Grad eine Bruthitze. Ich konnte einfach nicht weiter. Über zwei Stunden saß ich dort, vertrieb mir die Zeit mit Essen, Trinken, Tagebuch schreiben, dem einen oder anderen Pilgerplausch und einer Besichtigung der Kirche. Sie war tatsächlich geöffnet, eine Busgruppe hatte sich angemeldet und damit konnte ich ebenfalls in das Innere. Das Eingangsportal mit den detailreichen Bildhauerarbeiten sowie das Altarbild mit seinen ausdrucksstarken Farben wie auch die farbigen gotischen Grabmale zweier Edelbürger waren sehenswerte Kleinode. Ich verlängerte meine Pause immer mehr, konnte mich aber nicht dazu durchringen, in diesem kleinen Dorf die Herberge aufzusuchen. Ich zog nicht einmal diese Möglichkeit in Betracht, obwohl noch fast eine Stunde Fußmarsch in der brütenden Hitze vor mir lag. Carrión de los Condes war mein Ziel und daran gab es nichts zu rütteln. Ich musste es bis dorthin schaffen, sonst würde ich am nächsten Tag die Strecke, die mich dann erwartete, nicht bewältigen können. Von dort aus lagen nämlich 18 Kilometer vor mir, die schnurgerade, absolut schattenlos und auch noch ohne Einkehrmöglichkeit sein würden. Also Augen zu und durch. Diszipliniert, wie ich war, würde ich auf jeden Fall, koste es was es wolle, in Carrión de los Condes ankommen. In dieser Haltung erreichte ich dann auch die kleine Stadt, ich hatte dabei mindestens sechs Pilger überholt. Warum tat ich mir das an? Hatte ich mich eigentlich im Blick? War überhaupt eine Balance zwischen meinem Sein und meinem Wollen vorhanden? Wenn ich ehrlich bin, spielten diese Fragen zu dem Zeitpunkt keine Rolle. Ich machte, ich tat, ich wollte, ich funktionierte und genoss um mich herum alles und jedes. Auch zu Haus legte ich manchmal solche Verhaltensweisen an den Tag. Auf der einen Seite wusste ich instinktiv ganz genau, dass ich ab einem bestimmten Zeitpunkt alles, was danach kommen würde, bereuen oder büßen würde, auf der anderen Seite war es mir trotzdem völlig egal. Ich sah dann nur noch die positiven und wunderbaren Seiten und blendete alles andere aus. Da war ich plötzlich im Hier und Jetzt. Wie oft hatte ich mir beim Tanzen auf einer Party schon eine Blase getanzt und dennoch nicht aufgehört. Der Genuss, mich im Rhythmus der Musik zu bewegen und meinen Körper zu spüren, war in solchen Momenten größer. Ein Lied und noch ein Lied. Irgendwann wurde aus der kleinen, anfänglichen Blase dann eine große, blutige Blase, an der ich mehr als eine Woche herumlaborierte.
    Die erste Herberge in Carrión war voll, die zweite fand ich nicht und so landete ich schließlich im Hostal Albe, eine kleine Pension direkt am Pilgerweg. Für 22 Euro bekam ich ein riesiges, helles Zimmer, ein sauberes Bad und hätte sogar kochen können, wenn ich es gewollt hätte. Ich duschte für unglaubliche fünfzehn Minuten und versuchte mit dem heißen Wasser meine Muskeln zu entspannen, in einem Refugio hätte ich mir schon längst den Unwillen meiner Mitpilger zugezogen. Jetzt prasselte das Wasser über meinen todmüden Körper und ich brauchte nicht eine Spur von schlechtem Gewissen empfinden. Danach verarztete ich meine Blase, sie musste dringend aufgestochen werden, wenn sie sich nicht entzünden sollte. Mit einer dicken Schicht Leukoplast deckte ich sie steril ab. Ich schwöre auf Leukoplast, ein Blasenpflaster aus der Apotheke hat nicht dieselbe schnelle Wirkung. Mein Bruder hat diesen Tipp von einem

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