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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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sichtlich angeschlagen. Ihre Blasen am Fuß hatten sich entzündet. Als ich die offenen Stellen sah, war ich sehr erschrocken. Alle Hautschichten waren verletzt, man konnte das rohe Fleisch sehen, wie sie es bis dorthin geschafft hatte, war mir ein Rätsel. Sie schien auch ein wenig Fieber zu haben. Dennoch klagte sie nicht, sondern versuchte bewusst ihre Schmerzen nicht zum Thema zu machen. Sie hatte den Entschluss gefasst, am nächsten Tag mit dem Bus nach Sahagún zu fahren und dort erst einmal einen Arzt aufzusuchen. Ich fand das sehr vernünftig und bestärkte sie in ihrem Vorhaben. An diesem Nachmittag knüpften wir die ersten Bande für eine Freundschaft, die über den Jakobsweg hinausgehen sollte.

    Elvira und Martin, ein Ehepaar um die fünfzig aus dem Aschaffenburger Raum, die ich schon mit Gu hin und wieder getroffen hatte, waren ebenfalls in der Herberge. Beide waren stets gut gelaunt, immer zu einem Plausch aufgelegt und Martin hatte oft einen kessen Spruch auf den Lippen. Beide wirkten sportlich, drahtig und wanderten, wie sich später herausstellte, auch zu Hause viel in ihrer Freizeit. Sie liehen mir eine Art Elektroschocker, der mit ganz niedrigen Frequenzen den Beinmuskel entspannen und lockern sollte. Leider stellte ich danach keinen großen Unterschied fest.
    Die Albergue Jacques de Molay war ein echter Volltreffer. Sie war sauber und ordentlich, hatte einen tollen Garten, einen kleinen Lebensmittelladen und, wie sich am Abend herausstellte, auch noch eine fantastische Küche. Nirgendwo habe ich leckerer gegessen, weder vorher noch nachher. Es gab eine schmackhafte Bohnensuppe mit allerlei frischen Kräutern darin und zum Hauptgang wurde ein ganzer frisch gebratener Fisch mit Salat serviert. Es war köstlich!
     
     

18. Pilgertag, 9. Juni 2006
    Terradillos de los Templarios - Sahagún - León
     
    Der 18. Pilgertag sollte der Tag meiner vollständigen Kapitulation werden!
    Entgegen meinen Gewohnheiten war ich erst gegen halb acht gestartet. Ich war müde und richtig kaputt, zudem war ich traurig nach der Verabschiedung von Gabriella. Die Luft an diesem Morgen war mild und klar, die Sonne warf erste Schattenmuster, eine leichte Brise strich gelegentlich über mich weg und ich konnte mich endlich wieder an einzelnen Baumgruppen erfreuen, die das Einerlei der Getreidefelder unterbrachen. Nur ich passte nicht zu diesen traumhaften Bedingungen. Ich schlich den Weg entlang, ständig wurde ich von anderen Pilgern überholt, mein ganzer Körper stand unter Anspannung. Körperlich wie mental befand ich mich im Ausnahmezustand. In meinem Kopf schwirrte ständig das Wort »aufgeben« herum und versetzte mich in Panik. Ich wollte nicht aufgeben! Nach über einer Stunde kam ich in San Nicolás del Real Camino an und machte meine obligatorische Frühstückspause, nur blieb ich diesmal nicht auf einen café con leche, sondern genehmigte mir gleich zwei. Bei mir hatten Bernhard und zwei weitere Pilger, die ich nicht kannte, Platz genommen. Anscheinend sah man mir meine Gemütsverfassung an, denn sie fragten, was denn mit mir los sei. Diese Frage öffnete alle Staudämme dieser Welt bei mir und ich konnte vor lauter Schluchzen keine Antwort geben. Je mehr ich mich bemühte, meinen Tränen Einhalt zu gebieten, desto weniger bekam ich sie in den Griff. Ganz langsam dämmerte es mir, dass ich an einem anderen Punkt der körperlichen Erschöpfung angelangt war als bisher. Bernhard und die beiden anderen versuchten, mich aufzumuntern und zu trösten. Klaus schenkte mir sogar seine entzündungshemmende Muskelsalbe, die ich sofort auftrug. Als die drei weg waren, saß ich in meinem Stuhl und dachte unentwegt: Aufgeben oder weiterlaufen, auf die Signale des Körpers hören oder wieder einmal gegen alle Vernunft meinen Willen durchsetzen, aufgeben oder weiterlaufen? Ich entschied mich für Letzteres und schulterte erneut meinen Rucksack. Meine Entscheidung rechtfertigte ich vor mir selbst damit, dass ich in San Nicolás auf keinen Fall bleiben könne, da es im Dorf bestimmt keinen Arzt geben würde. Den ich aber sicherlich im sieben Kilometer entfernten Sahagún mit seinen fast 3000 Einwohnern finden würde. Bis dahin würde ich es auf jeden Fall schaffen. Meine Eigenmotivation war unglaublich, nur leider völlig fehl am Platz. Es waren endlose sieben Kilometer, mittlerweile zog ich mein Bein schon hinter mir her. Jedes Mal, wenn ich andere Pilger hinter mir hörte, riss ich mich zusammen und versuchte normal zu laufen,

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