Karrieresprung
unerbittlichen Dokumentationsinstrument täglich neu zu überprüfender Umsatzübersichten, des scheu erduldeten Datenabgleichs, pendelnd zwischen der bangen Erwartung, dass die Statistik der anderen durch Buchung beachtlicher Geldeingänge uneinholbare Sprünge nach vorn gemacht haben könnte und der stillen Hoffnung, dass die Fortschreibung der eigenen Zahlen die nachstehenden Kollegen zurückgeworfen haben möge.
17
Lisas Vater überraschte mit teurem Champagner. Er wartete im schwarzen Dreiteiler mit einer Lobesrede auf seinen Schwiegersohn auf, hob bewegt sein Glas und stieß auf das Paar an, bevor er weiterredete. Seine Worte bemühten das Glück ihrer Ehe und fanden ihren Anlass in Knobels Soziierung. Die Ansprache wechselte zwischen der Soziierung und der Ehe hin und her, aber sie war nicht der Versuch, das eine mit dem anderen zu verbinden.
Knobel verstand, dass ihr Vater nur eine Gelegenheit gesucht hatte, gegen ein Fremdeln anzureden, das zwischen ihm und Lisa wie ein Tumor wucherte.
Ihr Vater umarmte ihn nach seiner Rede, was er nicht einmal bei ihrer Hochzeit getan hatte.
Knobel stand dicht neben Lisa, wie es in diesem Augenblick sein musste, als ihr Vater den Werdegang seines Schwiegersohns skizzierte, seine Zeit bis zum Eintritt in Lisas Leben streifte und sich dann ausschweifend und farbig der Gegenwart, der Zeit des Aufstiegs, widmete.
Lisa sagte beschämt: »Lass nur, Vater«, doch er fuhr mit fester lauter Stimme fort, das begonnene Bild auszumalen. Es war ein Gemälde sich fügender glücklicher Umstände, und Lisa stand im Zentrum dieses Bildes.
Als sie erneut das Glas erhoben, nahm Knobel seine Frau in die Arme, drückte sie an sich und stellte fest, dass er nichts an ihr auszusetzen hatte.
Lisas Vater lud in ein nobles Restaurant ein, und er moderierte dort gelöst weiter. Keines seiner Worte ließ das Besondere dieses Tages vergessen. Spät am Abend erlebte er sich plaudernd selbst nach, schmeckte noch mal das lang zurückliegende ehrgeizig betriebene eigene Studium, sein entbehrungsreiches, zur harten Lebensschule erhobenes Streben, die fast ertraglosen Anfängerjahre im Beruf. Jahre des Anbiederns und folgsamen Abarbeitens, immer das Ziel der Selbständigkeit vor Augen, der Sprung ins kalte Wasser, ein verwaistes Ladenlokal in Dortmund-Huckarde als erste eigene Kanzlei, alte Vorhänge als Sichtschutz zur Straße, die Schreibmaschine aus Studentenzeiten als erstes Schreibgerät im Büro. Pergamentpapier als Durchschreibbogen, ausrangierte fremde Aktendeckel mit eigenem Stempel bedruckt. Seine erste Schreibkraft, Marga, eine schwedische Studentin, zur Aushilfe tätig, dann schwanger werdend. Jetzt kam es nebenbei heraus, in der vom Alkohol schnell gewordenen Sprache des Vaters fast verschluckt, aber Knobel stach es kraftvoll ins Bewusstsein: Marga war Lisas Mutter. Lisa kam auf die Welt, ein Tag und Nacht schreiendes und keuchendes Kind. Die Mutter liebte und schüttelte ihr Kind, verzweifelte in durchwachten Nächten, wurde hysterisch und still, floh vor dem Kind, kam zurück und riss wieder aus. Die Ärzte stellten eine paranoid-halluzinatorische Psychose fest. Sie nahmen sie in die geschlossene Akutstation auf, verlegten sie bald in die offene Station und mussten sie wieder in die geschlossene nehmen. Es ging rauf und runter, zuletzt nur nieder. Marga verschwand über Nacht und kehrte nach Schweden zurück. Lisas Eltern trennten sich endgültig. Die Mutter ließ dem Vater das Kind. Er umsorgte und pflegte sein Herz, sein Gold, nahm es mit in die Kanzlei. Seine Erinnerung streifte das Puppenhaus neben seinem Schreibtisch, das Versteckspiel in der abendlichen Dämmerung, Lisa dabei in die väterliche schwarze Robe gehüllt, ein heulendes Gespenst. Lisa hatte ihn nach ganz oben begleitet, die sachlich nüchtern und überlegen gewonnenen Prozesse bewundert und die Mundpropaganda verfolgt, die ihm immer mehr Mandanten zutrieb. Knobel griff unter dem Tisch an Lisas Oberschenkel und streichelte sie. Er wagte nicht, sie anzusehen. Ihr standen Tränen in den Augen. Er wusste es.
18
Anfang September hatte Knobel mit lukrativen Firmenmandaten seinen Umsatz auf über 193.000 steigern und damit Frau Meyer-Söhnkes überrunden können. Mit der wachsenden Routine wuchs sein Selbstbewusstsein. Es erlaubte ihm, sich immer weiter aus dem Versteck hervorzuwagen, in das er sich anfangs schutzsuchend und lauernd verkrochen hatte. Er bestand die täglichen Gänge ins Dubrovnik mit leichter Plauderei,
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