Karrieresprung
machen.
19
Die Eheleute Knobel fuhren mit dem neuen Auto direkt vor das Portal des Restaurants Haus Delecke am Möhnesee. Das Auto glänzte im Kegel der hell strahlenden Lampen unter dem Sandsteinvorbau, in dessen Schutz man witterungsgeschützt ein- und aussteigen konnte. Knobel parkte das Auto seitwärts, nachdem er Lisa vor dem Portal abgesetzt hatte.
Als er zurückkehrte, verlangsamte er seinen Schritt und genoss es, Lisa zu betrachten.
Sie stand in ihrem leuchtend roten Kostüm vor dem Eingang des Restaurants. Alles war in weißes Licht getaucht und Lisa zum Zentrum der Szene erhoben.
Niemals zuvor hatten sie zu zweit ein vornehmes Restaurant aufgesucht. Hin und wieder nur waren sie früher in bessere Lokale eingekehrt, wenn es einen außergewöhnlichen Anlass gab, den sie im besonderen Rahmen feiern wollten. Nach ihrer Verlobung waren sie zwei Samstage hintereinander in dasselbe italienische Restaurant im Kreuzviertel gegangen, als müssten sie umso nachdrücklicher besiegeln, was sie einander auf dem Marktplatz in Brügge versprochen hatten. Er hatte sie am ersten und sie ihn am zweiten Samstagabend eingeladen, und sie wählten dieselben Speisen und Getränke wie beim ersten Mal. Sie hatten darüber gelacht und gescherzt, dass sie einander nichts schenkten. Doch das italienische Lokal war mit dem Haus Delecke nicht zu vergleichen.
Ein Kellner geleitete sie zum vorbestellten Tisch, bat seine Frau mit leichter Verbeugung auf ihren Platz, und sie glitt auf einen filigranen hölzernen Stuhl mit blauem Samtbezug.
Knobel achtete darauf, dass er nicht vor ihr zu sitzen kam.
Man riet zu einem Spätburgunder Weißherbst, der vorzüglich zu dem bestellten Menü passe, und Knobel wägte mit dem trockenen Riesling ab, nickte dann kundig und folgte der Empfehlung.
Man reichte eine amuse geule , dann eine Gemüserahmsuppe mit Majoranklößchen und im Hauptgang tranchierte Poulardenbrüstchen im Sesam-Oreganomantel auf Chili-Paprikaconfit mit frischem Blattspinat im Fenchelblatt und Koriander-Schmörchen.
Als Lisa keuchend befürchtete, platzen zu müssen, wies Knobel den Kellner an, mit der Nachspeise zu warten.
Sie entspannten bei einer Tasse Kaffee.
Knobel resümierte, dass es ihm gut gehe, besser als den meisten, die er aus Schul- und Studienzeiten kannte. Er ließ Namen Revue passieren, denen er sonst kaum Beachtung schenkte, Mitschüler und Kommilitonen, die er aus den Augen verloren und von denen er seither nichts oder nur bruchstückhaft etwas erfahren hatte. All diese in der Vergangenheit zurückgelassenen Figuren waren ihm jetzt als Statisten willkommen. Er warf einen Blick auf die Karrieren der anderen und ersetzte Unbekanntes durch seine ausschweifende Phantasie. Stets gelangte er zu dem Ergebnis, dass sich keiner mit ihm messen könne. Und einen Mercedes fuhr von all denen auch keiner. Knobel befand, dass er als Jurist die Erfüllung finden werde. Erstmals sagte er dies, und es war ihm ernst damit.
Er berichtete von den bedeutendsten seiner laufenden Fälle, und Lisa unterstützte fachkundig seine Strategien. Dann setzte er noch durch, dass sie die Miete fortan zu gleichen Teilen zahlen würden, und er stellte in Aussicht, dass sie in naher Zukunft bauen sollten, natürlich nahe dem väterlichen Haus. Knobel nahm die Zukunft in die Hand, während er reichlich Wein nachschenkte und seine Wangen zu glühen begannen, ohne dass ihn der Alkohol benebelte.
Lisa gestand, dass sie sich ein Kind wünsche und schon vor Monaten die Pille abgesetzt habe.
Ihr Wunsch irritierte ihn. Noch immer suchte er seine Verliebtheit wieder, obwohl er nicht mehr unter ihrem Verlust litt. Seiner Beobachtung nach veränderte sich mit der Zeit die Beziehung zwischen Mann und Frau. Er hatte die Ehen seiner Kollegen analysiert. Alles, was beiläufig im Dubrovnik besprochen wurde, hatte er aufmerksam aufgesogen und mit seinem Verhältnis zu Lisa verglichen. Alle Ehen vollzogen sich in einem dicht gedrängten Terminplan, der in den wenigen Urlaubswochen mit kostspieligen Fernreisen und in der übrigen knappen Freizeit mit Theaterbesuchen und Vereinsaktivitäten ausgelastet war. Die gefüllte Zeit ließ keine bohrenden Fragen nach einer verlorenen Liebe zu. In die älteren Ehen war entspannende Normalität eingekehrt, die sich von zweifelnden und zehrenden Stichen befreit hatte und in einen unbeschwerten Lauf nach vorn eingemündet war.
Er dachte darüber nach, ob ihre Wohnlage für ein Kind geeignet sei und ob Kindergarten und
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