Karrieresprung
werden«, fuhr der Vorsitzende fort. »Können wir schon eine Einigung zu Protokoll nehmen? Ich nehme an, man hat im Vorfeld der heutigen Sitzung zumindest die grobe Linie abgesteckt.«
Die Stimme des Vorsitzenden war weich, klang ermutigend und wohlwollend. Die Aussicht auf eine Einigung der streitenden Parteien stimmte wohlgesinnt, verhieß eine Erledigungsziffer und befreite vom Zwang, den Rechtsstreit entscheiden zu müssen.
Der linke Beisitzer blickte noch freundlicher. Ihm würde die Einigung ersparen, in dieser Sache das Urteil schreiben zu müssen. Die Blicke des linken Beisitzers wechselten hoffnungsvoll zwischen Kläger- und Beklagtenanwalt.
Der Klägeranwalt verschränkte seine Arme und gab sich wichtig.
»Ich denke, der Herr Beklagte wird eine Erklärung abgeben. Oder vielmehr: Der Herr Kollege wird für den Herrn Beklagten eine Erklärung abgeben.«
Knobel stieß Rosenboom raunend in die Seite.
»Welche Erklärung?«
Rosenboom schnaufte, richtete sich auf und überging Knobels flehentliche Bitte um vertrauliche Information. Laut und deutlich sagte er in den Saal:
»Ich möchte mich bei Herrn Weinstein in aller Form entschuldigen. Ich werde alles zahlen.«
Knobel verlangte eilig nach einer Sitzungsunterbrechung und zog Rosenboom mit rotem Kopf aus dem Saal. Draußen rang er nach Luft, aber Rosenboom kam seinen Fragen zuvor.
»Lassen Sie es gut sein, mein Junge.«
Knobel bohrte nach und begann Chancen und Risiken aufzuzählen, die eine Fortführung des Prozesses mit sich brachte. Eindringlich machte er klar, dass noch nichts verloren sei. Er erging sich in juristischen Details, aber Rosenboom unterbrach ihn unwirsch.
»Sie sind mein Anwalt, und ich weise Sie jetzt an, die Klage anzuerkennen. Nicht wahr, so heißt es doch?«
Knobel unterließ die Frage, warum man sich nicht besser gleich der Klage der Gegenseite unterworfen habe, statt mit umständlichen Recherchen die Zeit zu vergeuden.
Wütend eilte er wieder in den Saal und formulierte, während er sich setzte, das schmachvolle Anerkenntnis wie beiläufig.
Der Vorsitzende gab seine Worte zu Protokoll, und die mädchenhafte Stimme der Protokollführerin wiederholte sie wortgetreu:
»Der Beklagte erklärte: Ich erkenne die Klage an.«
Der Vorsitzende nickte zufrieden, und der linke Beisitzer dankte mit entspanntem Gesicht.
Der Weg zurück über die Flure und Treppen wollte nicht enden. Es gab keine gerichtliche Entscheidung, über die man sich hätte freuen oder ärgern, und keinen Gegner, über dessen ungebührliches Verhalten man sich hätte ereifern können. Es gab nichts zu bilanzieren als ein unbegreifliches Anerkenntnis, eine vielleicht in der Gerichtskantine erzählenswerte heitere Episode über eine mit wortgewaltigen Schriftsätzen des Herrn Rechtsanwalts Knobel geführten Verteidigung, die mit einer demutsvollen Unterwerfung des Mandanten Rosenboom im Nichts verpuffte.
Knobel fühlte sich der Lächerlichkeit preisgegeben.
Rosenboom dankte ihm, als sie sich vor dem Gerichtsgebäude trennten.
Knobel erwiderte knapp, dass es nichts zu danken gebe.
15
Am nächsten Morgen rief ihn Dr. Hübenthal in sein Büro.
Der Senior nahm eine Zigarre aus einer Mahagonischatulle und beroch sie genussvoll, bevor er sie anzündete.
Knobel harrte gespannt aus.
»Wie lange sind Sie jetzt bei uns?«
Dr. Hübenthal schmauchte ungerührt weiter und ließ den schweren grauen Qualm unerbittlich in das Zimmer wolken.
»Fast acht Monate.«
»Das ist nicht viel.«
Das Gesicht des Seniors verzog sich zu einem Schmunzeln.
»Jedenfalls nicht für das, was wir mit Ihnen vorhaben.«
Knobel blieb still.
»Wir sind sehr zufrieden mit Ihnen«, erklärte Dr. Hübenthal, offen lassend, wen das › wir‹ umfasste und worauf sich die Zufriedenheit genau bezog.
Knobel zuckte unsicher mit der Schulter. Er empfand seine Leistungen als durchschnittlich. Er blickte auf gewonnene und verlorene Prozesse zurück, unter letzteren auch einige, deren Niederlage vermeidbar gewesen wäre. Es waren jene Prozesse, deren Ausgang er gegenüber dem Mandanten mit Beschimpfungen über die Unfähigkeit des Gerichts kommentierte und zugleich davon abriet, gegen das Urteil Berufung einzulegen.
Er hatte gelernt, die vermeidbaren Niederlagen ohne Erröten darzustellen. Ein wesentlicher Posten auf der Habenseite seiner kurzen Bilanz.
»Wir wollen Sie zum Sozius machen«, schloss Dr. Hübenthal. »Es hat natürlich auch damit zu tun, dass Sie in unserer Mandantschaft einen ganz
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