Karrieresprung
in seiner Jackentasche fest umgriffen. Er hatte keine Papiere dabei, nicht einmal das Monatsticket für die Verkehrsbetriebe. Mit einer Lederjacke bekleidet schlich er die düstere Straße entlang. Rechterhand die hoch gelegene Bahnstrecke, links schmale aneinander gereihte schäbige Häuser mit großen Fensterscheiben im Erdgeschoss, und hinter den Fenstern die wartenden Frauen. Junge hübsche, junge hässliche, ältere, fülligere und hagere, lächelnd und ausdruckslos. Er blieb auf der rechten Seite, sah scheu in die erleuchteten Fenster und auf die gaffenden Freier.
Knobel durchschritt die Straße wie ein die Szene beobachtender Polizist, darauf bedacht, dass ihm niemand begegnete, den er kannte.
Er wurde schneller, und als er die Straße verließ, rannte er beinah und fuhr geläutert in seine Studentenbude zurück.
Wesentlich war, dass Rosenbooms Bordellbetrieb ihn nicht nur nicht störte, sondern Rosenboom sogar interessanter machte. Das Bordell warf einen Schatten auf Rosenbooms reiche und mächtige Welt und verlieh ihr weitere Facetten. Der glänzenden öffentlichen Seite stellte sich eine anrüchige gegenüber. Rosenbooms Welt vervollständigte sich.
Wesentlich war schließlich, dass Knobel die im Gespräch mit Weinstein gewonnenen Erkenntnisse dazu zwangen, für Rosenboom tätig zu werden. Der Unwille, den aussichtslosen Prozess gegen Weinstein zu führen, wandelte sich in den festen Entschluss, Rosenboom aus der Sache herauszuhelfen. Mochten Weinsteins Behauptungen auch sämtlich der Wahrheit entsprechen, mochte dieser auch durch Rosenboom seine geliebte Frau verloren haben, eines stand fest: Weinstein war der Täter, der über seinen Mandanten herfiel und Gefallen an dessen schrittweiser Zerstörung fand.
Knobel dachte in kategorisierender Verhältnismäßigkeit, und in diesem Vergleich konnte Weinstein gegenüber Rosenboom nur verlieren.
Weinsteins glühende Trauer führte Knobel in düstere Erinnerungen an seine Jugend zurück, zerrte die unerledigten Lieben hervor, vertrauerte, aus heutiger Sicht vergeudete Zeit, überwundene Dunkelheit, die Weinstein nicht verlassen konnte. Weinstein hatte nicht gelernt zu vergessen. Knobel hatte es durch den Verlust des unerreichten Besitzes lernen müssen, Weinstein hingegen würde lernen müssen, sich vom Besitz zu lösen. War der Unterschied wesentlich? Weinstein konnte im moralischen Vergleich mit Rosenboom nicht gewinnen. Aber Weinstein konnte und würde seine Prozesse gegen Rosenboom gewinnen und damit über kurz oder lang seinen Mandanten in der Öffentlichkeit bloßstellen.
Knobel war fest entschlossen, weitere Prozesse zwischen Weinstein und Rosenboom zu verhindern. Die einzige Lösung bestand in der Schlichtung. Er war gezwungen, Weinstein zu besänftigen. Keine Klage, kein Schriftsatz, kein prozessualer Trick würde den Erpresser zum Stillstand bringen, ohne Rosenbooms Geheimnis zu offenbaren.
Knobel ließ seine Fälle gedanklich in der Kanzlei zurück, wenn er sich abends auf den Heimweg in die Dahmsfeldstraße machte. Sie verfolgten ihn nicht, bis er eingeschlafen war. Er träumte nicht von ihnen und wurde auch nicht im Gedanken an sie wach. Die erworbene Routine hatte ihn sicherer gemacht. Gelegentliche Fehler kaschierte er mit schauspielerischem Können. Was er über die leidenschaftslose Routine hinaus in den Fall einzubringen bereit war, hing von der Sympathie für die Sache und für den Mandanten ab. Kam beides zusammen, legte er sich mit Eifer ins Zeug und stritt hart für den Erfolg. Dann war er ein wirklicher Vertreter seiner Partei und kein Verwalter vorgezeichneter Positionen. Doch über die streitbare Vertreterschaft ging er bisher nicht hinaus.
Bei Tassilo Rosenboom war es anders. Der Angriff Weinsteins hatte ihn nicht nur auf die Seite seines Mandanten geschlagen, Knobel war Partei.
37
Rosenboom war außer sich, als Knobel ihm gestand, dass er sich mit Weinstein getroffen hatte. Nach diesem Bekenntnis gab es kein zurück mehr. Es werde immer so weitergehen, prophezeite Knobel eindringlich. Es werde heute diese und morgen jene Klage Weinsteins geben, gegen die er sich zunächst zum Schein verteidigen und sich dann mit reuevollem Geständnis der Klage unterwerfen müsse. Es könne auch umgekehrt gefordert sein, gegen Weinstein zu klagen und dann die Klage mit der demütigenden Entschuldigung zurückzunehmen, etwas gefordert zu haben, was Rosenboom zu keinem Zeitpunkt zugestanden habe. Weinstein werde beliebig mit Rosenboom spielen,
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