Karrieresprung
Sie wollen den Frieden. Sonst säßen wir ja nicht hier.«
Knobel appellierte hilflos an den Frieden. Er tat es wie in manchen Prozessen, wenn er naiv noch immer an eine Einigung glaubte. Notfalls betrieb er den Streit dann als Spiel und entzog ihm so die Ernsthaftigkeit, wenn sie sich anders nicht verflüchtigen wollte.
Weinstein nickte zufrieden.
»Jetzt hat er Angst, nicht wahr? – Welche Weisungen hat Rosenboom Ihnen für heute gegeben?«
»Keine konkreten.«
Knobel hob hilflos die Schultern.
»Ich habe Ihnen vermutlich nichts zu bieten, was Sie zufrieden stellen könnte. Ganz abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, was Sie von Rosenboom wollen. Nichts wird Ihnen Ihre Frau zurückbringen, wenn sie sich bei Rosenboom wohl fühlt.«
Weinsteins Gesichtszüge spannten sich.
»Wenn ich sie nicht haben kann, soll er sie auch nicht haben.«
»Also wollen Sie Rosenboom in den Ruin treiben. Aber vielleicht wird sich Ihre Frau dann mit ihm noch mehr solidarisieren.«
Weinstein leerte sein Glas hastig in einem Zug.
»Genau deshalb wird sich meine Frau nicht von Rosenboom trennen, sondern er wird sich von ihr trennen müssen.«
Weinstein lehnte sich überlegen zurück.
»Er wird sie betrügen, vernachlässigen und auf jede Art schlecht behandeln müssen. Wenn sie nicht von sich aus geht, wird er sie hinauswerfen müssen.«
Knobel verstand.
»Entweder Geschäft statt Frau. Oder Frau statt Geschäft. Aber in jeder Alternative muss Rosenboom sich demütigen. Das ist Ihre Strategie.«
»Es trifft nicht den Falschen«, erwiderte Weinstein lakonisch.
»Es trifft zumindest auch Ihre Frau.«
Knobel legte Schärfe in seine Stimme.
»Sie können sie nicht lieben, wenn Sie ihr schaden wollen.«
»Wenn er sie liebt, wird er seine geschäftlichen Interessen seiner Liebe unterordnen«, meinte Weinstein. »Und Rosenboom wäre ja gar nicht dauerhaft ruiniert. Die Leute vergessen schnell. Ein Bordell passt nicht zu dem Samariter Rosenboom, aber es ist eine lässliche Sünde. Nach einer Zeit rappelt er sich wieder auf. Glauben Sie mir: Rosenboom wird nicht am Hungertuch nagen. – Andererseits, wenn ihm Sophie die ganze Sache nicht wert ist, wird sie froh sein, wenn sie ihn los ist, und über den Schmerz hinwegkommen.«
Weinsteins Ansicht schien plausibel. Oft erschien Knobel plötzlich zweifelhaft, was er gerade noch fest vertreten hatte. Der Gegenstandpunkt gewann an Überzeugungskraft und verwischte die sicher geglaubten Konturen. Halbherzige Kompromisse drängten sich auf, unwirkliche Verbindungen einander unversöhnlicher Positionen. Knobel fürchtete die Einigungen, denen der Verlust an Orientierung vorausging.
Er bestellte eine neue Runde Bier.
Knobel fühlte sich Weinstein ausgeliefert, war enttäuscht über seinen Mandanten, der ihm nichts darüber erzählt hatte, wie es zur Trennung der Eheleute Weinstein und zu seiner Ehe mit Weinsteins Frau kam. Es fehlte zumindest eine Version der Wahrheit aus Rosenbooms Sicht, die er der Darstellung Weinsteins hätte entgegensetzen können. Jetzt musste er Weinsteins Sicht der Dinge als wahr unterstellen, er konnte lediglich gegen das Strafmaß plädieren, das Weinstein selbstgerecht festgesetzt hatte, und musste sich mit dem Argument begnügen, dass sich diese Strafe verbat, selbst wenn Weinsteins Vorwürfe zutrafen. Keine Abwägung zwischen Rosenbooms Unrecht und Weinsteins Unrecht, kein befriedigender Ausgleich nach Würdigung des tatsächlichen Sachverhalts.
Knobel merkte, dass er Tassilo Rosenboom nicht vertreten konnte.
Er streifte das Anzugjackett ab.
»Ich kann Ihnen nachfühlen«, sagte Knobel schließlich.
»Nein.«
Weinstein nahm wieder einen tiefen Zug und schien belustigt.
»Sie kennen mich doch gar nicht«, widersprach Knobel. »Jede Seite muss gehört werden. Das ist nur gerecht.«
Weinstein deutete ironisch eine Verneigung an.
»Wenn ich Sie bitte, Rosenboom nicht weiter zu erpressen, dann nicht nur deshalb, weil es nicht nur keinem nützt, sondern weil Sie sich ansonsten selber schaden.«
»Das sagten Sie schon einmal«, warf Weinstein ein.
»Ich meine den Schaden, den Sie Ihrer Seele zufügen. Man frisst sich in die unerfüllte Liebe förmlich hinein«, sagte Knobel gegen Weinsteins abwehrendes Schnauben, »und nimmt sie mit in den Schlaf, um morgens wieder mit ihr aufzuwachen. Jeden Tag erscheint sie schöner und begehrlicher als zuvor, aus Angst, dass sie sich entfernt, und man gießt Öl ins Feuer, damit die Liebe nie vergeht,
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