Karrieresprung
Versuch des Betruges statt, der die strafrechtliche Relevanz Ihres falschen Vortrages aufgehoben hätte. So schnell hängt man drin.«
Knobel schwieg betreten, aber Hübenthal fing ihn mit väterlicher Fürsorge auf.
»Der Verstand sagt einem doch oft, dass man im Prozess für den Mandanten Behauptungen aufstellt, die nicht wahr sind, manchmal sogar nicht wahr sein können. Doch Sie tun es trotzdem. Natürlich können Sie das Mandat niederlegen, wenn Sie den Verdacht haben, dass man Sie als Werkzeug für betrügerische Dinge benutzt. Und Sie werden es in dem einen oder anderen Fall auch tun. Aber Sie tun es doch nicht bei einem Tassilo Rosenboom. Und warum tun Sie es nicht? Weil Tassilo von Haus aus kein Betrüger ist, der Sie für zweifelhafte Dienste einspannt, sondern ein durch und durch honoriger Mensch, natürlich wie jeder Mensch mit Vorzügen und Schwächen ausgestattet. Jemand, der aus einer doch nur zu verständlichen Notlage heraus auf Sie angewiesen ist. Tassilo ist doch mehr als bloßer Mandant; er ist doch fast schon Freund.«
»Ich kenne Rosenboom kaum«, verteidigte Knobel flüchtend.
»Doch, doch! Aber Sie kennen ihn nur im Licht. Uns alle bescheint dieses Licht, und alle wollen nur das Licht sehen. Aber man geht nicht, wenn mal Schatten herrscht.«
Hübenthal erhob sich.
Knobel wollte versichern, dass er keiner sei, der den Schatten fürchte, keiner, der kneife, wenn es schwierig werde. Knobel wollte eine anwaltliche Tugend beweisen: Standhaftigkeit.
Hübenthal erahnte das Unausgesprochene und blieb wohlgesinnt.
»Es ist für uns beide kein einfaches Los. Es ehrt Sie doch: Sie sagen nicht einfach Ja . Teilen Sie mir Ihre Entscheidung mit, wenn Sie sie getroffen haben. Bedenken Sie eines: Ihre Entscheidung kann weder das Geschehene ungeschehen machen noch das Notwendige verhindern.«
Knobel dankte. Er versicherte, sich schnell entscheiden zu wollen. Er wollte eine weitere anwaltliche Tugend beweisen: Entschlussfreudigkeit.
43
Seine Entscheidung fiel am Abend desselben Tages, als Lisa seine Ferne beklagte, ihr Leiden unter dem Alleinsein, seine grausame Stille am heutigen Morgen, seine Betriebsamkeit, die sie zu ersticken drohte. Knobel war von ihrem Ausbruch überrascht und streichelte zitternd ihr tränennasses Gesicht. Lisa weinte für sich und weinte für das Kind. Er hielt sie fest im Arm, doch sie weinte unablässig. Er tupfte die Tränen aus ihrem Gesicht, aber es schossen immer neue nach. Er schwor ihr, dass sich alles ändern werde. Er sah nach vorn, aber sie wollte nicht mit ihm nach vorn sehen. Was würde sich ändern? Er würde noch mehr arbeiten und noch später nach Hause kommen. Er hielt Hübenthals großartiges Angebot dagegen, flüsterte in ihr Schluchzen, dass er nun alles erreicht habe. Knobel strich ihr durchs Haar und war wütend über ihre Zweifel, wütend darüber, dass sie nichts von seinen Zweifeln ahnte. Knobel warf seinen Aufstieg in die Waagschale. Sie hatten ihn doch beide gewollt. Natürlich hatte Lisa Opfer gebracht, aber vielleicht waren seine größer gewesen.
Lisas Tränen betrauerten ein verloren gegangenes Glück. Knobel flehte sie an, in die Zukunft zu sehen und in ihr ein neues Glück zu suchen. Er gelobte, für sie und das Kind da zu sein. Er appellierte an ihr Vergessen. Sie sollten den Weg gemeinsam gehen. Er würde Hübenthals Angebot nicht nur um seiner selbst willen, sondern um seiner Familie willen annehmen. Ihm war bewusst, dass der gemeinsame Weg inzwischen in eine erwachsene Alltäglichkeit eingemündet war, der keine Überraschungen mehr versprach. Knobel fürchtete diese Aussicht und wusste dennoch keinen Ausweg. Noch mehr fürchtete er einen unbekannten Weg, der sie entzweien und ihnen das schmale Plateau, auf dem sie standen, unter den Füßen wegreißen würde. Der enge vorgezeichnete Weg nach vorn war die einzige Alternative zum Bruch. Der Ausbruch winkte an einem unerreichbaren leuchtenden Horizont, stand für Mut und Reife und war zugleich von irrealer Bodenlosigkeit. Knobel wusste weder, ob er Lisa dort wieder finden würde, noch, ob er sie dort wieder finden wollte. Knobels Entscheidungen waren nicht immer seine eigenen gewesen. Häufig ließ er entscheiden, ohne dass ihm dies unangenehm war, und immer in der Vorstellung, dass er selbst durchaus noch anders entscheiden könnte, wenn er es nur wollte. Die Welt, in der er mit Lisa verbunden war, war reich geworden und klein geblieben. Knobel träumte den Ausbruch, hin und wieder nur,
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