Karrieresprung
sich zu ihr und hörte ihr zu. Als sie sich kennen lernten, konnte er nicht in den Schlaf finden, wenn sie vor ihm einschlief und er ihr manchmal in leichtes Schnarchen übergehendes Atmen hörte. Eine Weile war es ein Spiel um die Wette, wer zuerst einschlief. Manchmal hatte sie sich schlafend und schnarchend gestellt, bis sie über seinen Unmut prustend lachte. Er war es nicht gewohnt gewesen, dass jemand in seinem Bett schlief. Anfangs hatte er sich in seine Bettdecke gedreht und sich von ihr abgewandt. Jetzt konnte ihn ihr gleichförmiges Atmen manchmal in den Schlaf wiegen. Heute blieb er wach. Ihr Atmen war der ruhige Puls einer fremden friedlichen Welt. Er ließ sie schlafen.
42
Als Knobel am nächsten Morgen müde sein Büro betrat, wurde er bereits von Dr. Hübenthal erwartet. Frau Klabunde hatte eilfertig Kaffee und Gebäck bereitgestellt, vorausschauend alle morgendlichen Gesprächstermine abgesagt und nicht einmal gewagt, sich der Bonsaipflanze zu widmen. Eilig hatte sie sich in ihr Büro zurückgezogen und eifrig diversen Akten zugewandt. Ihr Gespür signalisierte ihr, dass es besser sei, sich mit keinem Wort nach irgendetwas zu erkundigen. Etwas Bedeutendes musste geschehen sein, das über Zimmer 102 hinauswies.
Knobel sackte erschöpft in seinen Sessel. Die toten Augen Weinsteins hatten ihn die ganze Nacht verfolgt. Er hatte in die Augen gestarrt, während sich das Gespräch mit Weinstein immer wieder durch seine Erinnerung quälte. Als Lisa kurz aufwachte, weil er sich im Bett hin und her wälzte, hatte er regungslos verharrt und angestrengt den Film seiner Erinnerung angehalten, bis ihn die Perforation des Vergessens wieder abriss.
Am Morgen hatte er nichts von der schrecklichen Nacht erzählt. Lisa hatte überhaupt zu keinem Zeitpunkt von der Erpressung Rosenbooms durch Weinstein erfahren. Weshalb sollte sie also dann das Ende der Geschichte erfahren? Dann hätte er auch ihre Hintergründe beleuchten und einen Schatten auf Rosenboom und Dr. Hübenthal, den hochverehrten Studienfreund ihres Vaters, werfen müssen. Knobel hatte nicht nur Rosenbooms Schatten, sondern auch Rosenbooms Bedeutung für seine eigene Karriere verschwiegen. Zwar verschwieg er die von Rosenboom übertragenen Mandate nicht gänzlich, aber sie reihten sich in seinen Schilderungen unauffällig in eine Kette beliebiger lukrativer Mandate ein, die als solche keiner besonderen Erwähnung wert waren. Rosenbooms eigentliche Rolle zu verschweigen, hieß, die eigene Karriere umso leuchtender glänzen zu lassen.
Dr. Hübenthal sah bleich und müde in Knobels Gesicht, und Knobel schaute bleich und müde zurück. Die bleichen müden Gesichter sagten sich, dass der andere im Bilde war. Es galt, Strategien zu finden. Knobel fühlte sich eigenartig geehrt, dass Dr. Hübenthal in ihm seinen Ansprechpartner suchte. Die Anwesenheit Dr. Hübenthals in seinem Büro ehrte. Das Privileg, dass die Angelegenheit nicht zuerst mit Löffke beredet wurde, ehrte, und mehr als alles andere ehrte Dr. Hübenthals Ratlosigkeit. Er brauchte Knobel.
Knobel ergriff die Initiative.
»Wann hat er es Ihnen erzählt?«
»Gestern Abend noch. Nachdem Sie gefahren sind.«
Hübenthal zündete sich eine Zigarette an.
»Wie ich aus dem Lokalradio weiß, hat man Weinstein tot auf der Straße gefunden. Nach dem Bericht gibt es keine Zeugen.«
»Rosenbooms Auto ist unversehrt.«
Hübenthal nickte.
»Und das Tatauto ist verschwunden.«
»Aber man wird in der Gastwirtschaft nachfragen«, gab Knobel zu bedenken, »Wahrscheinlich hat sich die Wirtin schon von sich aus gemeldet.«
»Ich gehe in der Tat davon aus, dass sie ihre Aussage machen wird. Ich hoffe doch, dass man Sie dort nicht kennt.«
»Ich wüsste nicht …«
»Und ich hoffe, dass niemand aus dem Anker jemals in unsere Kanzlei kommt. Das wäre allerdings auch unwahrscheinlich. Aus dieser Gegend akquirieren wir nicht unsere Klientel. Also: Es kommt maßgeblich darauf an, dass man Sie nie als Zeugen findet. Die Erinnerung der Wirtin wird verblassen. Sie könnten sie in drei Monaten zufällig auf der Straße treffen, und sie würde Sie wohl nicht erkennen. Vielleicht hat sie eine nebulöse Erinnerung, Sie irgendwann einmal gesehen zu haben. Aber nicht wann und wo. Es fehlt der konkrete Bezug. Völlig normal. Das geht jedem so. Vielleicht sollten Sie eine Zeit lang einen Bart tragen. Der maskiert mit Sicherheit. – Selbstverständlich bleiben noch reichlich Risiken. Es kann sein, dass die Polizei nach den
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