Karrieresprung
sich durch ihre Haare strich.
»Wir fahren raus«, entschied sie und umarmte ihn schnell.
Für einen Augenblick spürte er ihre feuchte kühle Wange auf seiner Haut und atmete den Regen durch ihr dunkles Haar, bis sie wieder in ihren Sitz zurückfiel.
Er ließ sich von ihr durch die Straßen dirigieren. Der Regen peitschte auf das Auto. Das harte Prasseln übertönte das Puckern der Scheibenwischer. Ihre feuchte Kleidung ließ die Scheiben beschlagen, und er schaltete das Gebläse höher.
Sie verließen die Innenstadt Richtung Süden und befuhren die Hagener Straße.
Marie sagte ihm, wo er abbiegen und wie weit er dieser oder jener Straße folgen solle. Ansonsten schwiegen sie, aber es war kein unangenehmes Schweigen.
Nach einer halben Stunde endete ihr Weg auf einem Parkplatz an der Bittermark.
Marie kramte aus ihrem Rucksack einen altmodischen Regenumhang hervor und drückte ihn Knobel in die Hand.
Er kannte einen großen Teil der weit verzweigten Wege, die sich wie feine Adergefäße in dem dichten Waldgebiet verloren.
Manchmal war er vor dem Examen an warmen Tagen mit Lisa mit dem Fahrrad durch die Bittermark bis zur Hohensyburg gefahren, hatte dort mit ihr an der Burgruine ein Eis gegessen und dabei ins Tal auf den Zusammenfluss von Ruhr und Lenne geschaut.
Marie schnürte den Rucksack zu. Das Leder war runzelig und speckig. Er wunderte sich über ihre alten Sachen. Einzig der leuchtend rote Anorak schien neu.
Dann stieg sie aus, und er folgte ihr.
Knobel presste heraus, dass sich die Sache Weinstein erledigt habe. Weinstein sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er habe die Akte schließen können.
»Also hat er noch sehr an seiner Frau gehangen«, sagte sie.
Knobel überlegte, warum Weinsteins Unfalltod diese Schlussfolgerung stützen könnte.
»Es war ein Unfall, kein Selbstmord«, bekräftigte er.
»Wer erbt jetzt die Brunnenstraße 8 eigentlich?«, fragte sie.
Knobel stutzte, wollte Bedauern für Weinstein einfordern: Kein Mensch schien um Weinstein zu trauern. Warum fragte sie nicht weiter nach Weinstein?
»Der Wirt hat mir gesagt, dass Weinstein den Pachtvertrag über das La dolce vita kündigen wollte«, sagte sie. »Er wollte Ambientegastronomie ins Haus holen. Weinstein sagte, das Viertel werde sich bald wandeln, und er wolle den Anschluss an die Zeit nicht verpassen. Überall begännen Renovierungen, die alte Bausubstanz werde schön herausgeputzt und die Mieten schon in absehbarer Zeit deutlich steigen. Wenn alles fertig wäre, kämen schicke Leute ins Viertel. Ein paar Jahre nur, und das Viertel rund um die Brunnenstraße wäre die beste Adresse für Künstler und andere Individualisten. Weinstein dachte auch daran, eine Bar einzurichten. Er schien eine Menge Geld gehabt zu haben.«
Knobel ahnte, dass Rosenboom wohl noch mehr Geld an Weinstein gezahlt hatte, als er wusste. Eigentlich wusste er ohnehin fast nichts, und er wollte auch nichts wissen.
Der Regen ließ etwas nach. Er kauerte sich in seinen Umhang und bohrte die Hände tief in die Hosentaschen. Der Weg war in der Mitte aufgeweicht. Die Regentropfen sprangen aus den kleinen Pfützen. Er folgte ihr still auf dem nassen Grassaum. Das Gras patschte unter den Schuhen.
Wie ein störrischer Esel blieb er plötzlich stehen. Marie merkte es zunächst nicht und sah ihn, als sie sich zufällig umdrehte, ein Stück hinter sich. Sie kehrte zurück, griff seine Hand und wollte ihn ziehen, doch er blieb schnupfend und kränkelnd stehen.
Marie wollte mit ihm scherzen, aber er blieb unbeirrbar ernst. Dann sah sie, dass er zitterte. Wie ein Gespenst sah er aus, kalkweiß. Die Regentropfen liefen seine Wangen hinunter und tropften von seinem Kinn herab. Marie sah, dass sich auch Tränen unter sie gemischt hatten.
»Es ist wohl eine Grippe«, gluckste er.
Sie nickte.
Zurück ließ er Marie fahren. Das Warmluftgebläse konnte das Zittern nicht verjagen. Er drückte sich fest in den Sitz, die Hände zur Faust verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten. Zu Hause zog sie ihn die Treppe hoch und schob ihn in ihre Wohnung. Sie schickte ihn ins Bad und schloss hinter ihm die Tür.
Benommen blickte er sich um, zog sich träge aus, ordnete umständlich seine Kleider und legte sie eigentümlich sorgfältig gefaltet auf den Toilettendeckel. Er richtete sich in ihrem kleinen Bad ein. Die fünf oder sechs Quadratmeter waren eine eigene Welt. Sein fiebernder Körper atmete wie durch einen Filter den Duft ihrer Seife ein. Seine Blicke
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