Karrieresprung
verwegen und dann wie ein ausbrechendes Fieber.
Mittlerweile hatte sich vieles entschieden. Aus dem Gewirr von Möglichkeiten hatte sich nun ein Weg herausgebildet, der vorgezeichnet in die Zukunft wies, obwohl Knobel die Unverbindlichkeit liebte. Manchmal träumte er vom Kindsein.
Knobel diente Lisa seinen Aufstieg an, Zement für ihr kleines Plateau, Versöhnung für erlittene Einsamkeit. Er mied den Riss, er mied die Frage nach Lisas Träumen, er wagte nicht zu tasten, ob sie ihm fern oder nah war. Die Schwangerschaft hatte Lisas Leben verändert. Sie hatte ihr den Beruf genommen, der sie verband, seit sie sich kannten. Das ungeborene Kind hatte etwas genommen und noch nichts gegeben. Das ungeborene Kind hatte ein Vakuum geschaffen.
44
Knobel sprach am nächsten Morgen bei Hübenthal vor. Beinah unterwürfig bat er um einen freien Tag, natürlich der Zustimmung gewiss und dem kalkulierten Vorwurf ausgesetzt, warum er überhaupt um Erlaubnis für einen freien Tag frage. Knobel verriet mit keinem Wort und keiner Miene, dass er sich bereits entschieden hatte, Hübenthals Angebot anzunehmen, und während er Hübenthals Vorhaltungen in gespielter Demut über sich ergehen ließ, dachte er daran, dass er aus seiner Mitwisserschaft zukünftig Kapital schlagen konnte. Er würde ins Büro kommen und gehen können, wie es ihm gefiel, ohne dass ihn ein beklemmendes Gefühl stören müsste, dass es sich nicht gehöre, das Büro abends vor dem Senior zu verlassen. Noch wichtiger erschien ihm, an herausgehobener und dennoch recht verantwortungsfreier Position zu stehen. Eine Luftblase im dichten Geflecht von Macht und Anbiederei, tatsächlicher und vorgetäuschter Betriebsamkeit, Erfolgssucht und Leistungsdruck. Er schämte sich nicht, in mancher Hinsicht Nutznießer von Rosenbooms Verbrechen zu sein, und er wusste, dass er diesen Gewinn nur durch dauerhafte Verschwiegenheit erreichen und halten konnte. Er musste nur allen Verlockungen widerstehen, sein Geheimnis auszuplaudern, weder eine Wut auf Rosenboom noch eine Enttäuschung über Hübenthal dürften ihn verleiten, mit seinem Wissen zu spielen. Loyalität, Macht und Reichtum durch Schweigen erkauft und zur Unantastbarkeit stilisiert. Im Grunde beruhte seine Karriere auf stillschweigender Unterlassung. Aber konnte er auch darauf hoffen, dass eines heiß ersehnten Tages sein Gehirn es unterließ, in seinen Albträumen Weinsteins blutüberströmten Körper ständig wie eine Monstranz zu präsentieren?
Knobels gespielt devote Bitte um einen freien Tag signalisierte: Ich brauche Ruhe. Er nahm Hübenthals großherzige Geste mit artigem Dank entgegen, um zu signalisieren, dass er nicht undankbar sein werde.
Knobel verabschiedete sich von Frau Klabunde. Sie teilte ihm mit, dass Frau Audero gerade eben habe mitteilen lassen, dass sie mit der U-Bahn in die Stadt komme und an der Haltestelle Saarlandstraße aussteige. Er solle oben an der Rolltreppe auf sie warten.
Knobel nickte. Er sah sie an und lächelte.
»Ich werde Ihnen alles zu gegebener Zeit erklären.«
Frau Klabundes fülliger Körper richtete sich stolz auf.
45
Er kämpfte sich mit dem Auto durch die verstopften Straßen. Die Weihnachtsbeleuchtung hinter den Schaufenstern glitzerte auf dem regennassen Asphalt und brach sich in den Regentropfen auf der Frontscheibe seines Autos zu einem funkelnden Lichtermeer. Die Regenwolken hingen grau und schwer über den bleiernen Häusern, deren schillernde Leuchtreklamen sie nur umso trister erscheinen ließen. Der Tag wollte einfach nicht hell werden. Knobel fröstelte trotz der warmen Luft, die ihm im Auto aus den Düsen entgegenblies. Er fand mühsam zum Eingang der U-Bahnstation Saarlandstraße und dann mit Glück in der Nähe einen Parkplatz, von dem aus er im Auto sitzend die Treppenanlage unter dem leuchtenden blauen U-Schild im Blick hatte. Die Rolltreppe baggerte in Intervallen Menschentrauben an die Oberfläche und pumpte sie ins Verkehrsgewühl. Knobel bemühte sich, Gesichter zu erkennen, bevor sie unter den sich öffnenden Schirmen verschwanden. Er hatte Marie angerufen und das Treffen mit ihr dringend gemacht. Sein sich veränderndes Leben suchte ein Ventil, bevor es begonnen hatte.
Zuerst entdeckte er ihren knallroten Anorak. Er beugte sich aus dem Auto und rief ihr zu.
Sie lief ihm durch aufspritzende Pfützen entgegen, stieg ein und warf einen kleinen Lederrucksack auf den Rücksitz.
Er betrachtete sie, während sie ihren knisternden Anorak öffnete und
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