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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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aufmerksam zu. Jasselin betrachtete ihre Brüste durch
den Ausschnitt ihres Kleides: Brüste mit Silikonimplantaten zwar, Hélène hatte
die Operation vor zehn Jahren vornehmen lassen, aber es war ein Erfolg gewesen,
der Chirurg hatte gute Arbeit geleistet. Jasselin war mit Brustvergrößerungen
durchaus einverstanden, da sie eine gewisse erotische
Bereitschaft der Frau zum Ausdruck
brachten, die für die Sexualität eines der wichtigsten Dinge der Welt ist und
das Ende des Sexuallebens eines Paares um zehn, wenn nicht gar um zwanzig Jahre
hinauszögern kann. Außerdem hatte ihm die Sache Momente wunderbarer Verzückung
beschert: Am Swimmingpool eines Club-Hotels in der Dominikanischen Republik, in
dem sie nur ein einziges Mal ihre Ferien verbracht hatten (Michel, ihr erster
Bologneser, hätte ihnen das um ein Haar nie verziehen, und sie hatten sich
geschworen, es nie wieder zu tun, es sei denn sie fanden ein Club-Hotel, das
Hunde zuließ – doch leider hatten sie keines ausfindig gemacht), also kurz gesagt,
bei diesem Ferienaufenthalt hatte er verzückt die Brüste seiner am Swimmingpool
auf dem Rücken liegenden Frau betrachtet, die mit kühner Verachtung der
Schwerkraft zum Himmel aufragten.
    Brüste mit Silikonimplantaten sind
lächerlich, wenn das Gesicht einer Frau voller Falten und ihr Körper fett,
schlaff und verunstaltet ist, aber das war bei Hélène bei weitem nicht der
Fall. Ihr Körper war schlank geblieben, ihr Po fest und kaum verformt, und ihr
dichtes, lockiges, kastanienbraunes Haar fiel ihr anmutig auf die gerundeten
Schultern. Anders ausgedrückt, sie war eine sehr hübsche Frau, anders
ausgedrückt, er hatte Glück, sehr viel Glück.
    Langfristig betrachtet werden Brüste
mit Silikonimplantaten natürlich irgendwann lächerlich, aber zu jenem Zeitpunkt
hat man andere Sorgen, dann denkt man an Gebärmutterkrebs, Gehirnschlag und
Ähnliches. Und man denkt an die Weitergabe des Vermögens, an die Aufteilung der
Immobilien unter den mutmaßlichen Erben, auf jeden Fall beschäftigen einen dann
andere Dinge als Brustimplantate, aber so weit waren sie noch nicht, sagte er
sich, noch nicht ganz, vielleicht würden sie heute Abend miteinander schlafen –
oder besser noch morgen früh, morgens war es ihm lieber, dann war er
anschließend den ganzen Tag gut gelaunt –, man konnte sagen, dass sie noch ein
paar schöne Jahre vor sich hatten.
    Das Wirtschaftsthema war
inzwischen beendet, nun wurde eine Liebeskomödie vorgestellt, die am folgenden
Tag in die französischen Kinos kam. »Hast du gehört, was dieser Typ gesagt hat,
der Experte?«, fragte Hélène. »Hast du seine Prognosen mitbekommen?« Nein,
tatsächlich hatte er überhaupt nicht zugehört, sondern sich damit begnügt, ihre
Brüste zu betrachten, aber er vermied es, sie zu unterbrechen.
    »In einer Woche wird man feststellen,
dass all seine Prognosen falsch waren. Dann laden sie einen anderen Experten
ein oder sogar noch einmal denselben, und der stellt ebenso selbstsicher neue
Prognosen …« Sie schüttelte betrübt, fast empört den Kopf. »Wieso kann eine
Fachrichtung, die nicht einmal imstande ist, verifizierbare Prognosen zu
stellen, als Wissenschaft angesehen werden?«
    Jasselin hatte Popper nicht gelesen
und konnte ihr keine brauchbare Antwort darauf geben, also begnügte er sich
damit, ihr die Hand auf den Schenkel zu legen. Sie lächelte ihm zu und sagte:
»Wir können gleich essen.« Dann kehrte sie zu ihren Kochtöpfen zurück, aber im
Verlauf des Essen sprach sie das Thema noch einmal an. Ein Verbrechen, sagte
sie zu ihrem Mann, erscheine ihr als eine zutiefst menschliche Handlung, die
zwar mit den düstersten Zonen des Menschen verbunden, aber dennoch menschlich
sei. Die Kunst, um ein anderes Beispiel zu nehmen, sei mit allem verbunden: mit
den düsteren, den sonnigen und allen dazwischen liegenden Zonen. Die Wirtschaft
dagegen stehe mit so gut wie gar nichts in Verbindung oder höchstens mit den
Seiten des Menschen, die ausgesprochen mechanisch, vorhersehbar und automatisch
seien. Sie sei keine Wissenschaft und erst recht keine Kunst, letztlich sei sie
so gut wie gar nichts.
    Er war damit nicht einverstanden und
sagte es ihr. Da er schon seit langem mit Verbrechern zu tun hatte, könne er
ihr versichern, dass es sich dabei um Individuen handele, deren Handlungen
äußerst mechanisch und vorhersehbar seien, in noch viel stärkerem Maße, als man
sich das vorstellen könne. In fast allen Fällen töteten sie um des

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