Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
zahlreichen Sachverständigenberichten hervorgehoben worden
sind. Man könnte es als skandalös betrachten, dass dieses vor kurzem erbaute
Haus mit derart überholten Heizkörpern ausgestattet worden ist, mit Billigware
sozusagen, und falls etwas passieren sollte, also wenn die Heizkörper zum
Beispiel explodieren würden, könnte ich vermutlich den Bauherrn gerichtlich
verfolgen. Ich nehme an, dass Ihr Vater in so einem Fall zur Verantwortung
gezogen würde, oder?«
»Ja, ohne Zweifel.«
»Sehen Sie, das ist doch ein
wunderbares, sogar ein verdammt interessantes Thema, ein echtes menschliches Drama !«,
rief der Autor von Plattform begeistert. »Auf den ersten Blick hat Gusseisen ein
bisschen was vom 19. Jahrhundert, Arbeiteraristokratie der Hochöfen und so
weiter, kurz gesagt, etwas völlig Veraltetes, dabei wird Gusseisen noch immer
hergestellt, natürlich nicht mehr in Frankreich, sondern eher in Ländern wie
Polen oder Malaysia. Man könnte heute in einem Roman sehr gut den Weg des
Eisenerzes nachzeichnen, die Reduzierung beim Schmelzen von Eisenerz und Koks
in der Hüttenindustrie, die Verarbeitung des gewonnenen Materials und
schließlich deren Vermarktung – damit könnte man das Buch beginnen, sozusagen
als Genealogie des Heizkörpers.«
»In jedem Fall brauchen Sie aber
Romanfiguren, wie mir scheint.«
»Ja, das stimmt. Selbst wenn mein
eigentliches Thema die industriellen Vorgänge wären, könnte ich ohne
Romanfiguren nichts machen.«
»Ich glaube, dass das der grundlegende
Unterschied ist. Solange ich mich damit begnügt habe, Gegenstände darzustellen,
hat mir die Fotografie vollauf genügt. Aber als ich beschlossen habe, Menschen
zum Thema zu machen, habe ich gespürt, dass ich mich wieder der Malerei
zuwenden muss; ich kann Ihnen gar nicht genau sagen, warum. Aber im Gegensatz
dazu sehe ich nicht mehr so recht, was für ein Interesse Stillleben haben
sollen. Seit der Erfindung der Fotografie ist so etwas nicht mehr sinnvoll,
finde ich. Aber das ist natürlich ein rein persönlicher Standpunkt …«, sagte er
abschließend in entschuldigendem Ton.
Die Dunkelheit brach an. Durch das
Südfenster sah man Wiesen, die sich bis zur Mündung des Shannon hinabzogen; in
der Ferne schwebte eine Nebelbank über dem Wasser, die die Strahlen der
untergehenden Sonne leicht widerspiegelte.
»Diese Landschaft zum Beispiel …«,
fuhr Jed fort. »Na gut, ich weiß natürlich, dass es im 19. Jahrhundert sehr
schöne impressionistische Aquarelle gegeben hat. Trotzdem, wenn ich heute diese
Landschaft darstellen sollte, würde ich einfach ein Foto davon machen. Wenn
dagegen ein Mensch in dieser Umgebung zu sehen ist, und sei es nur ein Bauer,
der in der Ferne seine Zäune repariert, wäre ich geneigt, auf die Malerei
zurückzugreifen. Ich weiß, dass das absurd erscheinen mag, und so mancher wird
dem entgegenhalten, dass das Thema völlig unwichtig ist, dass es sogar
lächerlich wäre, die Wahl des Mediums von dem behandelten Thema abhängig machen
zu wollen, dass schließlich nur eine Sache zählt, und zwar, wie sich das
Gemälde oder das Foto in Figuren, Linien, Farben unterteilt.«
»Ja, der formalistische Ansatz … Den
gibt es bei den Schriftstellern auch, er scheint mir in der Literatur sogar
noch weiter verbreitet zu sein als in der bildenden Kunst.«
Houellebecq verstummte, senkte den
Kopf und blickte dann zu Jed auf; er schien plötzlich von außerordentlich
traurigen Gedanken erfüllt zu sein. Er stand auf und ging in die Küche. Ein
paar Minuten später kam er mit einer Flasche argentinischem Rotwein und zwei
Gläsern zurück.
»Wenn Sie Lust haben, können wir
gemeinsam zu Abend essen. Das Restaurant im Hotel Oakwood Arms ist nicht
schlecht. Es gibt dort traditionelle irische Gerichte – Räucherlachs, Irish
Stew, eher fade und ziemlich primitive Sachen, ehrlich gesagt, aber sie haben
auch Kebab und Tandoori-Gerichte, der Koch ist Pakistaner.«
»Es ist noch nicht mal sechs Uhr«,
sagte Jed erstaunt.
»Ja, ich glaube, die machen um halb
sieben auf. Hierzulande isst man sehr früh, wissen Sie, aber mir ist selbst das
noch nicht früh genug. Ich mag inzwischen das Ende des Dezembers am liebsten,
da wird es um vier Uhr dunkel. Dann kann ich einen Schlafanzug anziehen, meine
Schlaftabletten nehmen und mit einer Flasche Wein und einem Buch ins Bett
gehen. So lebe ich seit Jahren. Die Sonne geht um neun Uhr auf; gut, aber bis
ich mich dann gewaschen und Kaffee getrunken habe, ist es schon fast
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