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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Mittag,
und dann brauche ich nur noch vier Stunden durchzuhalten, bis es dunkel wird,
das überstehe ich meistens ohne allzu große Schäden. Aber der Frühling ist
unerträglich, die Sonnenuntergänge sind endlos und prachtvoll, das ist wie in
einer beschissenen Oper, ständig gibt es neue Farben, neues Licht, ich habe
einmal versucht, den ganzen Frühling und den ganzen Sommer hier zu bleiben, ich
habe geglaubt, ich würde sterben, jeden Abend war ich kurz davor, mich
umzubringen, weil es einfach nicht dunkel wurde. Seither fliege ich Anfang
April nach Thailand und bleibe dort bis Ende August, Tagesanbruch um sechs,
Tagesende um sechs, das ist viel einfacher, äquatoriale Verhältnisse,
äquatoriale Verwaltung, es herrscht eine Affenhitze, aber die Klimaanlagen
funktionieren gut, für den Tourismus ist das die Saure-Gurken-Zeit, die
Bordells sind kaum besetzt, aber immerhin geöffnet, das ist für mich genau das
Richtige, das passt mir bestens, und was sie einem bieten, bleibt ausgezeichnet
oder zumindest sehr gut.«
    »Ich habe den Eindruck, dass Sie sich
selbst persiflieren.«
    »Ja, das stimmt«, räumte Houellebecq
erstaunlich spontan ein, »das sind Dinge, die mich gar nicht mehr sonderlich
interessieren. Bald höre ich sowieso damit auf, dann kehre ich ins Loiret
zurück; ich habe im Loiret meine Kindheit verbracht, damals habe ich Hütten im
Wald gebaut, ich denke, dass ich wieder eine ähnliche Tätigkeit aufnehmen
werde. Vielleicht die Jagd auf Biberratten?«
    Er fuhr seinen Lexus schnell,
locker und mit sichtlichem Vergnügen. »Aber immerhin, sie blasen dir einen ohne
Gummi, das war wirklich gut …«, murmelte der Autor der Elementarteilchen undeutlich,
als hinge er einem verlorenen Traum nach, ehe er den Wagen auf dem Parkplatz
des Hotels abstellte; dann betraten sie den großen, hell erleuchteten
Speisesaal. Als Vorspeise nahm er einen Krabbencocktail, Jed bestellte sich Räucherlachs.
Der polnische Ober stellte eine lauwarme Flasche Chablis vor sie auf den Tisch.
    »Sie kriegen es einfach nicht hin«,
stöhnte der Schriftsteller. »Sie kriegen es nicht hin, den Weißwein mit der
richtigen Temperatur zu servieren.«
    »Interessieren Sie sich für Weine?«
    »Das erleichtert es mir, Haltung zu
bewahren, und es wirkt französisch. Außerdem muss man sich ja im Leben für
irgendetwas interessieren, ich finde, das hilft.«
    »Es überrascht mich ein bisschen«,
gestand Jed. »Als ich herkam, hatte ich damit gerechnet, dass sich unsere
Begegnung – nun, wie soll ich sagen – etwas schwieriger gestalten würde. Sie stehen
im Ruf, sehr depressiv zu sein. Ich habe zum Beispiel geglaubt, Sie würden viel
mehr trinken.«
    »Ja …« Der Schriftsteller studierte
wieder aufmerksam die Weinkarte. »Wenn Sie anschließend die Lammkeule nehmen, müssen
wir einen anderen Wein bestellen: vielleicht wieder einen argentinischen?
Wissen Sie, die Journalisten haben mich in den Ruf gebracht, Alkoholiker zu
sein, aber seltsamerweise ist keiner von ihnen je auf die Idee gekommen, dass
ich in ihrer Gegenwart nur deshalb so viel trinke, damit ich sie überhaupt
ertragen kann. Wie soll man ein Gespräch mit einem Saftsack wie Jean-Paul
Marsouin ertragen, wenn man nicht total besoffen ist? Wie soll man sich mit
jemandem treffen, der für Marianne oder Le Parisien libéré arbeitet, ohne augenblicklich das Bedürfnis zu kotzen
zu verspüren? Die Dummheit und der Konformismus der Presse sind wirklich
unerträglich, finden Sie nicht?«, sagte er nachdrücklich.
    »Ich weiß nicht, ehrlich gesagt lese
ich sie nicht.«
    »Haben Sie nie eine Zeitung
aufgeschlagen?«
    »Doch, vermutlich«, erwiderte Jed
aufrichtig, aber er hatte tatsächlich keinerlei Erinnerung daran; er entsann
sich zwar, mehrere Stapel Figaro magazine auf einem kleinen Tisch im Warteraum seines Zahnarztes
gesehen zu haben; aber seine Zahnprobleme waren schon seit langem gelöst. Er
hatte auf jeden Fall nie das Bedürfnis empfunden, sich eine Zeitung zu kaufen.
In Paris ist die Luft gleichsam mit Informationen gesättigt; ob man will oder
nicht, man sieht die Schlagzeilen an den Zeitungsständen und hört die Gespräche
in der Schlange vor den Kassen der Supermärkte. Als er zur Beerdigung seiner
Großmutter in die Creuse gefahren war, hatte er bemerkt, dass die
Informationsdichte der Atmosphäre eindeutig abnahm, je weiter man sich von der
Hauptstadt entfernte, ja dass die menschlichen Belange ganz allgemein an
Bedeutung verloren. Nach und nach verschwand alles,

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