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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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nicht sehr
viel.« Die Schatten unter den Linden verlängerten sich allmählich. Jasselin
schöpfte wieder Hoffnung, er hatte die materielle Präsenz der Leiche in einer
Entfernung von wenigen Metern fast vergessen, als der Peugeot Partner des
Erkennungsdienstes abrupt vor dem Gartentor Halt machte. Die beiden Männer in
ihren lächerlichen weißen Schutzanzügen, die ihnen das Aussehen eines Teams für
nukleare Dekontamination verliehen, sprangen mit schöner Gleichzeitigkeit aus
dem Wagen.
    Jasselin hasste die Spurensicherer vom
Erkennungsdienst, insbesondere die Tatsache, dass sie immer zu zweit
auftauchten, er hasste ihre kleinen, speziell ausgestatteten Kombis, die mit
teuren, unverständlichen Geräten vollgestopft waren, und ihre deutlich
bekundete Verachtung für die Beamten der Kripo. Aber ehrlich gesagt waren die
Männer vom Erkennungsdienst überhaupt nicht daran interessiert, sich beliebt zu
machen, im Gegenteil, sie taten alles, um sich möglichst von normalen Polizeibeamten
zu unterscheiden, und kehrten in jeder Situation die unverschämte Arroganz des
Technikers gegenüber dem Laien heraus, und all das vermutlich nur, um die
übermäßige Zunahme ihres Jahresbudgets zu rechtfertigen. Es ließ sich nicht leugnen,
dass ihre Methoden spektakuläre Fortschritte gemacht hatten und dass sie
heutzutage unter Bedingungen, unter denen das noch vor ein paar Jahren
unvorstellbar gewesen wäre, Spuren finden oder DNA -Proben entnehmen konnten, aber was war ihr Verdienst
an diesem Fortschritt? Sie wären völlig unfähig gewesen, die Geräte, mit denen
sie diese Ergebnisse erzielten, zu erfinden oder auch nur zu verbessern, sie
begnügten sich damit, diese zu benutzen, was keinerlei Intelligenz und kein
besonderes Talent erforderte, sondern nur eine entsprechende technische
Ausbildung, die man besser direkt den vor Ort arbeitenden Beamten der
Kriminalpolizei geben sollte, das war jedenfalls die These, die Jasselin
regelmäßig, wenn auch bisher ohne Erfolg, in den jährlichen Berichten vertrat,
die er an das Polizeipräsidium sandte. Er hegte im Übrigen keinerlei Hoffnung,
offene Ohren für seine Empfehlung zu finden, die Arbeitsteilung innerhalb der
verschiedenen Polizeidienste war alt und fest eingefahren, er tat das vor
allem, um seine Nerven zu beruhigen.
    Ferber war geschmeidig und
zuvorkommend aufgestanden und erklärte den beiden Männern die Situation. Sie
nickten bewusst sehr kurz, um ihre Ungeduld und ihr professionelles Verständnis
zu zeigen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wies er mit der Hand auf ihn,
vermutlich um ihn als Leiter der Ermittlungen kenntlich zu machen. Sie
erwiderten nichts darauf, deuteten nicht einmal einen Schritt in seine Richtung
an, sondern begnügten sich damit, ihre Schutzmasken aufzusetzen. Jasselin war
nie sonderlich pedantisch gewesen, was Fragen des Protokolls anging, hatte nie
eine strikte Einhaltung der formalen Regeln des Respekts verlangt, den man ihm
als Hauptkommissar schuldete, das konnte ihm wirklich niemand vorwerfen, aber
diese beiden Witzfiguren begannen ihn zu nerven. Er ging absichtlich mit noch
schwereren Schritten als gewöhnlich auf sie zu, dem alten Oberhaupt einer
Affenhorde gleich, schnaufte laut und wartete auf einen Gruß, der nicht kam,
ehe er in einem Ton, der keine Widerrede duldete, verkündete: »Ich begleite
Sie.« Einer der beiden Männer zuckte zusammen, sie waren es natürlich gewohnt,
ihren üblichen Kram in aller Ruhe zu erledigen, den Tatort abzuriegeln und
niemanden der Absperrung nahe kommen zu lassen, um sich dann auf ihren mobilen
Datenerfassungsgeräten lächerliche Notizen zu machen. Aber was konnten sie ihm
schon entgegenhalten? Absolut nichts, und so reichte ihm einer der Männer eine
Schutzmaske. Als Jasselin sie aufsetzte, kehrte die Realität des Verbrechens in
sein Bewusstsein zurück, und das verstärkte sich noch, als er sich dem Gebäude
näherte. Er gab ihnen ein paar Schritte Vorsprung und bemerkte mit leichter
Zufriedenheit, dass die beiden Zombies wie angewurzelt auf der Schwelle stehen
blieben. Er ging an ihnen vorbei und betrat lässig, wenn auch mit einer
gewissen Unruhe, das Wohnzimmer. »Ich bin der lebendige Körper des Gesetzes«,
sagte er sich. Die Helligkeit nahm allmählich ab. Diese Chirurgenmasken waren
erstaunlich wirksam, sie hielten die Gerüche fast völlig ab. Er spürte hinter
sich – ohne sie wirklich zu hören –, wie sich die beiden Spurensicherer ein
Herz fassten, um das Wohnzimmer zu betreten, doch

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