Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
Vom Netzwerk:
»Wir sollten zurückfahren. Ich wünschte, der Tag würde nicht zu Ende gehen.«
    »Dann lassen wir ihn jetzt noch nicht zu Ende gehen«, sagt Felicity.
    Wir kehren in einer Teestube ein, um den Erfolg zu feiern. Mit Gläsern prickelnden Ginger Ales stoßen wir auf Ann an und Felicity und ich versichern ihr zum soundsovielten Mal, wie absolut brillant sie war. An einem Nebentisch sitzen vier Frauen und besprechen eine Demonstration vor dem Unterhaus. Mit ihren Plakaten mit der Aufschrift Wahlrecht für Frauen ziehen sie alle Blicke auf sich. Einige Damen im Lokal sehen missbilligend zu ihnen hin. Andere hingegen nähern sich schüchtern und nehmen ein Flugblatt oder stellen Fragen und ich sehe, dass Ann an diesem Tag nicht die einzige Frau ist, die die Absicht hat, ihr Leben zu verändern.
    *
    Zurück in Spence suche ich im Efeu unter meinem Fenster nach Kartiks Halstuch, aber es ist nicht da und ich hoffe, dass er bald kommen und Neuigkeiten bringen wird.
    »Hast du Ann gesehen?«, fragt mich Felicity, als ich den Marmorsaal betrete. »Sie ist nach dem Abendessen verschwunden. Ich dachte, wir wollten Karten spielen.«
    »Nein«, antworte ich. »Aber ich gehe und such sie, ja?«
    Felicity nickt. »Ich bin in meinem Zelt.«
    Ann ist an keinem ihrer üblichen Aufenthaltsorte zu finden – unserem Zimmer, der Bibliothek, der Küche. Ich kenne nur noch einen Platz und da finde ich sie – allein auf dem Balkon im dritten Stock, von dem man über den Rasen bis zum dahinterliegenden Wald blickt.
    »Hast du Lust auf Gesellschaft?«, frage ich. Sie weist auf den freien Platz am Geländer. Von hier habe ich einen vollständigen Blick auf den halb fertig gebauten Turm und den eingerüsteten Ostflügel. Ich frage mich, ob meine Mutter und ihre Freundin Sarah je solch ein Glück empfunden haben wie wir an diesem Tag.
    Ein sanfter Wind weht. Weit entfernt kann ich die Lichter des Zigeunerlagers sehen. Kartik. Nein, ich werde jetzt nicht an ihn denken.
    »Ich hab gedacht, du packst schon für deine Reise zu den Bühnen der Welt«, sage ich.
    »Wir brechen erst nächste Woche auf.«
    »Die Zeit wird wie im Flug vergehen. Was ist das?« Ich zeige auf ein versiegeltes Kuvert in ihrem Schoß.
    »Oh«, sagt Ann und dreht es in den Händen. »Ich kann mich nicht entschließen, es aufzugeben. Es ist ein Brief an meine Verwandten, in dem ich ihnen meine Entscheidung mitteile. War ich heute wirklich gut?«
    »Du warst fantastisch«, bestätige ich. »Deine Stimme hat sie bezaubert.«
    Ann starrt auf den Rasen hinaus. »Sie wollten mich nur hören, weil ihnen gefallen hat, was sie zuerst gesehen haben. Und erzähl mir nicht, wir werden nach unserem Charakter beurteilt, denn das ist Unsinn.« Sie lacht, aber es klingt nicht fröhlich. »Schönheit ist Macht und mein Leben wäre viel leichter, wenn ich so schön wäre wie Nan Washbrad.«
    Ann ist reizend, aber nicht auf die Art, wie sie es sich wünscht. Sie ist keine Schönheit. Was ihren Reiz ausmacht, das zeigt sich, wenn man sie lange und sehr gut kennt. Aber das ist nicht das, was sie hören möchte.
    »Ja, es ist leichter, wenn du schön bist«, sage ich. »Der Rest der Welt muss sich mehr anstrengen.«
    Sie streicht den Brief auf ihrem Schoß glatt und ich fürchte, ich habe sie mit meiner Ehrlichkeit gekränkt.
    Ich drücke ihre Hand. »Du hast es geschafft, Ann. Du hast dein Leben verändert. Ich werde es jedem sagen, der es hören will: Ann Bradshaw ist das tapferste Mädchen, das ich kenne.«
    »Gemma, wie soll ich es ihnen erklären? Entweder ich behalte diese Illusion bei oder ich bringe sie irgendwie dazu, dass sie an Ann Bradshaw glauben. Aber wie?«
    »Wir werden einen Weg finden. Wir brauchen nur genug Magie, um sie davon zu überzeugen, dass sie Ann Bradshaw aufgenommen haben. Das Weitere machst du mit deinem Talent. Das ist deine Magie.« Aber ich weiß, wie ihr zumute ist. Der Gedanke, das alles hier aufzugeben, belastet sie immer mehr.
    »Nicht wahr, das war ein guter Tag?« Ein kleines Lächeln vertreibt den Kummer aus Anns Gesicht.
    »Und es werden noch bessere kommen.«
    Ann dreht den Brief in ihrer Hand. »Ich denke, ich brings hinter mich.«
    Ich reiche ihr galant meinen Arm. »Ich habe nicht jeden Tag die Ehre, einen Bühnenstar zu geleiten.«
    »Danke, Lady Doyle«, sagt sie, als begebe sie sich auf die Bühne, um sich zu verbeugen. Sie marschiert geradewegs zu Brigid und übergibt ihr den Brief. »Brigid, würden Sie diesen Brief bitte morgen für mich

Weitere Kostenlose Bücher