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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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den langen schwarzen Handschuhen, ihren modischen Kleidern und, als Tupfen auf dem i, einem Blumensträußchen an der Taille, sind sie nicht zu übersehen.
    »Oh, die Gaiety Girls!«, ruft Ann. »Sie sind die schönsten Revuetänzerinnen der Welt, nicht wahr?«
    Tatsächlich sehen ihnen Männer bewundernd nach, aber anders als Mrs Worthington scheinen sie nicht nur für diese anerkennenden Blicke zu leben. Sie haben ihre eigene Arbeit und ihr selbst verdientes Geld. Und sie bewegen sich auf eine Art, als gehöre ihnen die Welt.
    »Eines Tages werden die Leute sagen: ›Seht nur, da geht die berühmte Ann Bradshaw! Sie ist ein reines Wunder!‹«, ermuntere ich sie.
    Ann richtet die Brosche an ihrem Hals, wieder und wieder. »Nur wenn ich zu dieser Verabredung nicht zu spät komme.«
    Mit der Adresse in der Hand wandern wir von Haus zu Haus. Endlich finden wir die unauffällige Tür. Auf unser Klopfen öffnet ein schlaksiger junger Mann mit Hosenträgern, ohne Weste und mit einer Melone auf dem Kopf. Zwischen seinen Lippen klemmt eine Zigarette. Er betrachtet uns neugierig.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt er mit einem amerikanischen Akzent.
    »J-ja, ich habe eine Verabredung mit M-Mister Katz.« Ann zieht den Brief heraus.
    Der junge Mann überfliegt ihn und öffnet schwungvoll die Tür. »Ganz pünktlich. Das wird ihm gefallen.« Er senkt die Stimme. »Mr Katz kürzt dir den Lohn, wenn du unpünktlich bist. Übrigens, Charlie Smalls. Sehr erfreut.«
    Charlie Smalls hat ein zahnlückiges Lächeln, das sein schmales Gesicht lebendig macht. Man kann nicht anders als zurückzulächeln.
    »Sind Sie Schauspieler?«, fragt Ann.
    Er schüttelt den Kopf. »Komponist. Nun ja, jedenfalls hoffe ich, einer zu werden. Im Moment bin ich Korrepetitor.« Er lächelt wieder, breit und herzlich. »Nervös?«
    Ann nickt.
    »Kein Grund, nervös zu sein. Hier entlang. Willkommen im Tadsch Mahal«, scherzt er, mit einer Geste den bescheidenen Raum umfassend. In einer Ecke steht ein Klavier. Davor sind einige Stühle mit Blick auf den Flügel aufgestellt. Vorhänge deuten eine Bühne an. Der Raum ist ziemlich dunkel, die einzige Lichtquelle besteht aus einem kleinen Fenster, von dem aus man gerade nur die Beine der Pferde und die Wagenräder auf der Straße sehen kann. Staubkörner tanzen im schwachen Licht und kitzeln in der Nase, sodass ich niesen muss.
    »Gesundheit!« Ein drahtiger Mann mit einem dünnen Schnurrbart betritt polternd den Raum. Er trägt einen einfachen schwarzen Anzug und hält seine Taschenuhr in der Hand. »Charlie? Wo zum Teufel steckt diese Notiz von George?«
    »Von Mr George Bernhard Shaw, Sir? Auf Ihrem Schreibtisch.«
    »Ah ja. Hervorragend.«
    Charlie räuspert sich. »Eine junge Dame für Sie, Sir. Miss Nan Washbrad.«
    Die Uhr schlägt zwei und Mr Katz steckt seine Uhr weg. »Famos. Auf die Sekunde genau. Sehr erfreut, Miss Washbrad. Lily sagte, Sie seien ein erfreulicher Anblick. Wir wollen sehen, ob Sie auch in Bezug auf Ihr Talent recht hat.« Mr Katz schüttelt meine Hand, bis mein ganzer Arm zittert. »Und wer sind diese charmanten jungen Damen?«
    »Ihre Schwestern«, sage ich und reiße mich los.
    »Schwestern, dass ich nicht lache. Sie sind Schulfreundinnen, Marcus. Und an Ihrer Stelle würde ich meine Brieftasche im Auge behalten.« Lily Trimble kommt in einem smaragdgrünen Kleid hereingerauscht, das ihre ansehnlichen Kurven zur Geltung bringt. Ein pelzgesäumtes kurzes Cape hängt reizend um ihre Schultern. Sie lässt sich in den anscheinend bequemsten Sessel im Raum fallen. »Nur nicht nervös werden, Nannie. Das ist nicht Henry Irving.«
    »Henry Irving«, brummt Mr Katz bei der Erwähnung des großen englischen Schauspielers und Lehrers. Königin Viktoria hat ihn sogar zum Ritter geschlagen. »Der alte Snob hat vielleicht dazu beigetragen, das Theater zu verändern, aber ich werde es in die Zukunft führen. Vaudeville. Tänzerinnen und volkstümliche Unterhaltung – das ist es, was die Leute wollen, und ich bin der Mann, es ihnen zu geben.«
    »Könnten wir uns die Reden für später aufheben, Marcus?«, sagt Lily und nimmt einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche.
    »In Ordnung. Charlie?«, brüllt Mr Katz.
    Charlie setzt sich ans Klavier. »Was werden Sie singen, Miss Washbrad?«
    »Äh, ja …«
    Ich fürchte, Anns Nerven könnten ihrer Illusion und ihrem Gesang übel mitspielen.
    Los, komm schon, forme ich mit den Lippen. Ich lächle sie ermutigend an und sie lächelt ziemlich hilflos

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