Kartiks Schicksal
zurück.
Felicity springt auf. »Sie wird ›Nach dem Ball‹ singen!«
Lily Trimble schaut in ihren Spiegel und pudert sich die Nase. »Siehst du, was ich meine, Marcus? Miss Washbrad braucht dich vielleicht gar nicht als Manager – nicht mit diesen beiden im Schlepptau.«
»Meine Damen, Sie haben gefälligst den Schnabel zu halten, wenn Sie in diesem Raum bleiben wollen«, sagt Mr Katz.
»Wie vulgär«, flüstert Felicity, aber sie setzt sich.
»Also ›Nach dem Ball‹?«, fragt Charlie und Ann nickt. »Welche Tonart?«
»Äh, ich … ich … C?«, stottert Ann.
Ich habe das Gefühl, vor Nervosität in Ohnmacht zu fallen. Ich muss in mein Taschenbuch beißen, um nicht laut zu stöhnen.
Charlie schlägt eine Walzermelodie an. Er spielt drei Takte und schaut zu Ann. Sie bringt vor Angst keinen Ton heraus, also gibt er ihr noch einen Auftakt, doch sie zögert immer noch.
»Jetzt oder nie, Miss Washbrad«, ruft Mr Katz.
Ann ist so starr wie der Big Ben. Los, Annie. Zeig ihnen, was du kannst. Ich halte es nicht länger aus. Gerade als ich glaube, unter Marterqualen zu sterben, erhebt sich Anns Stimme über das Geklimper der Tasten und den Zigarrenrauch. Dünn zuerst, doch zunehmend voller. Felicity und ich beugen uns vor, um zu lauschen. Bald erfüllt ihre Stimme den Raum, glockenrein und schmelzend. Das ist kein Zaubertrick der Magie; das ist der Glanz von Anns Stimme, in der Seele und Musik sich vereinen, und wir sind völlig in ihrem Bann.
Sie hält mit unendlich langem Atem den letzten Ton, und als sie geendet hat, erhebt sich Mr Katz und setzt seinen Hut auf. Heißt das, er will gehen? Hat es ihm gefallen? Fand er es schrecklich? Er klatscht laut in seine kräftigen Hände.
»Das war famos! Ganz famos!«, ruft er.
Lily Trimble zieht eine Augenbraue hoch. »Die Kleine ist nicht übel, stimmt’s?«
»Gut gemacht«, sagt Charlie.
»Sie sind zu freundlich«, wendet Ann errötend ein.
Charlie legt die Hand aufs Herz. »Bei meinem Leben, Sie waren großartig. Wie ein Engel! Wenn ich mein Musical komponiere, muss ich eine Nummer für Sie schreiben.« Charlie greift in die Tasten und eine muntere Melodie erklingt.
»Schon gut, Charlie, schon gut. Flirten kannst du in deiner Freizeit. Ich brauche Miss Washbrad, damit sie vorspricht.«
Ann bekommt eine Stelle aus The Shop Girl und sie ist mindestens genauso gut wie Ellaline Terriss, die in dieser beliebten musikalischen Komödie am Gaiety Triumphe feiert. Ja, noch besser. Es ist offensichtlich, dass jeder im Raum von Anns Talent beeindruckt ist, und ich empfinde eine Mischung aus wildem Stolz und Neid über ihren Erfolg hier.
»Ich werde dieses Musical schreiben«, flüstert Charlie Ann zu. »Und Sie bekommen darin einen Part. Das ist die Stimme, die ich suche.«
Mr Katz streckt seine Hand aus und hilft Ann von ihrem Platz neben dem Klavier. »Miss Washbrad, wie würde es Ihnen gefallen, der jüngste Star in der Katz-und-Trimble-Theatertruppe zu werden?«
»Ich … nichts würde ich mir mehr wünschen, Mr Katz!«, ruft Ann. Ich habe sie nie so überglücklich gesehen. Nicht einmal im Magischen Reich. »Wenn Sie sicher sind, dass Sie mich aufnehmen wollen.«
Mr Katz lacht. »Meine Liebe, ich wäre ein Narr, es nicht zu tun. Sie sind ein sehr hübsches Mädchen.«
Anns Lächeln schwindet. »Aber das ist nicht alles …«
Mr Katz kichert. »Nun, es schadet jedenfalls nicht. Die Leute hören gern eine schöne Stimme, meine Liebe, aber sie wollen auch sehen, aus welchem Mund die Stimme kommt. Und wenn sie aus dem Mund einer Schönheit kommt, werden sie mehr für eine Eintrittskarte zahlen. Stimmt’s, Lily?«
»Nicht umsonst trage ich Rouge auf meine Wangen auf«, sagt Lily mit einem Seufzer.
»Aber – was ist mit meinem Talent?« Ann beißt sich auf die Lippe und es macht sie nur noch reizender.
»Natürlich, natürlich«, sagt Mr Katz, aber er wendet den Blick nicht von ihr. »Dann wollen wir also Ihren Vertrag aufsetzen.«
*
Als wir aus der dunklen Höhle von Mr Katz’ Studio heraustreten, scheint die Welt eine andere geworden zu sein, aufregend und voller Hoffnung.
»Wir sollten auf deinen Erfolg anstoßen! Ich hab gewusst, dass du es schaffen wirst«, jubelt Felicity. »Ich glaube, dieser Charlie Smalls ist in dich verschossen.«
Ann hält ihren Blick auf den Boden geheftet. »Verschossen in Nan Washbrad, meinst du.«
»Das darfst du nicht sagen. Es ist ein Glückstag.«
Der Big Ben schlägt die volle Stunde. »Oh«, sagt Ann und seufzt.
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