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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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gebückt gehen. »Achtet auf eure Köpfe«, rufe ich nach hinten. Meine Hände tasten sich vorwärts. Die Wände sind kalt und nass und für einen Augenblick fürchte ich, im Maul eines Ungeheuers gelandet zu sein. Mich überläuft ein eisiger Schauer und ich bin nahe daran zu schreien.
    »Gemma?« Felicitys Stimme. In der pechschwarzen Finsternis kann ich nicht erkennen, wo sie ist. Sie scheint meilenweit weg zu sein, obwohl ich weiß, dass das nicht möglich ist.
    »J-ja«, stammle ich. »Kommt weiter.«
    Ich bete, dass wir rasch hindurch sind, aber der Tunnel scheint endlos weiterzugehen. Ich höre ein Raunen unter dem Felsen. Es klingt wie ein dumpfes Stöhnen des Windes, ohhh, doch ich könnte schwören, dass ich Opfer höre und, einmal, rette uns. Ich kann die Schritte meiner Freundinnen nicht mehr ausmachen und gerate in Panik, als endlich ein schwacher Lichtstrahl hereinfällt. Ein Ausgang kommt in Sicht. Ein Stein der Erleichterung fällt mir vom Herzen, als ich durch die schmale Öffnung stolpere, dicht gefolgt von meinen Freundinnen.
    Pippa wischt sich den Schmutz von den Ärmeln. »Grässlicher Tunnel. Ich habe den heißen Atem von irgendeinem widerlichen Etwas in meinem Nacken gespürt.«
    »Das war ich«, gesteht Ann.
    »Wo sind wir?«, fragt Felicity.
    Wir befinden uns auf einer sturmgepeitschten Heide, umgeben von einem Kreis schroffer Berggipfel. Es schneit leicht. Die Schneeflocken bleiben an unseren Wimpern und in unseren Haaren hängen. Wendy hebt ihr Gesicht dem Schneegestöber entgegen, als wäre es ein Segen. »Oh, das ist schön«, murmelt sie.
    Dunkle, schwere Wolken hängen über den Berggipfeln. Blitze zucken über den Himmel und Donner grollt. Durch den dünnen Schneeschleier sehe ich ihn: Ein Baum, eine uralte, verwitterte Esche mit einem Stamm so dick wie zehn Männer und so hoch wie ein Haus, erhebt sich majestätisch aus einem kleinen grünen Grasflecken. Seine zahlreichen Äste strecken sich weit in alle Richtungen. Der Baum ist Ehrfurcht gebietend; ich kann nicht wegschauen. Und ich weiß, dass das der Baum aus meinen Träumen ist. Der Baum, von dem Wilhelmina Wyatt wollte, dass ich ihn finde.
    »Der Baum Aller Seelen«, sage ich andächtig. »Wir haben ihn gefunden.«
    Schnee stiebt mir ins Gesicht, aber es macht mir nichts aus. Die Magie summt mit süßer Stimme in mir, als hätte ich sie gerufen. Der Laut schwingt in jeder Faser meines Körpers; er pulsiert in meinem Blut mit einem neuen Refrain, den ich noch nicht singen kann, obwohl ich es mir wünsche.
    »Endlich bist du gekommen«, raunt der Baum, so sanft wie das Wiegenlied einer Mutter. »Komm zu mir. Du brauchst mich nur zu berühren und du wirst sehen..«
    Ein Hagel von Blitzen zerschneidet den Himmel um uns. Die Magie dieses Ortes ist stark und ich möchte daran teilhaben. Auch meine Freundinnen spüren es, ich sehe es auf ihren Gesichtern. Wir legen unsere Hände an die uralte Rinde. Sie fühlt sich rau an. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich erbebe unter dieser neuen Kraft. Sie überwältigt mich, wirft mich zu Boden.
    Dann steht sie vor mir, in ein sanftes Licht getaucht, und ich erkenne sie mit einem Blick. Das weiße Haar. Die blauen Augen. Das farbige Kleid. Die Welt versinkt, bis es nichts mehr gibt außer uns beiden.
    Nur Eugenia Spence und mich.

34. Kapitel
    »Ich habe so lange auf Sie gewartet«, sagt sie. »Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben.«
    »Mrs Spence?«, sage ich, als mir meine Stimme endlich wieder gehorcht.
    »Ja. Und Sie sind Gemma, Marys Tochter.« Sie lächelt. »Sie sind die, die ich herbeigesehnt habe – die, die uns und das Magische Reich retten kann.«
    »Ich? Wie …«
    »Ich will Ihnen alles erklären, aber unsere gemeinsame Zeit ist kurz. Sie währt nur, solange ich Ihnen in dieser Gestalt erscheinen kann. Wollen Sie mit mir kommen?«
    Als sie meine Verwirrung bemerkt, streckt sie mir eine blasse Hand entgegen. »Kommen Sie. Ich will es Ihnen zeigen.«
    Meine Hand nähert sich langsam der ihren und streift ihre kalten Fingerspitzen. Sie packt meine Hand mit festem Griff. Ein strahlend weißes Licht umgibt uns. Es verglüht und sie und ich stehen zusammen auf einer sturmgepeitschten Ebene. Der Schnee, die Blitze, meine Freundinnen – das alles existiert außerhalb dessen, wo ich jetzt bin. Hier ist Eugenia viel wirklicher. Ihre Wangen sind gerötet; das Blau ihrer Augen scheint lebendiger.
    »Ich dachte, Sie seien« – ich schlucke schwer – »tot.«
    »Nicht ganz«, sagt

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