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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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anhalten …«,sage ich.
    Wasser spritzt mir ins Gesicht. Es riecht nach Schwefel.
    »Ich bin die Tochter eines Admirals und ich sage, wir müssen hineinrudern!«, brüllt Felicity, als sei sie der Kapitän.
    »Wir kommen immer näher!«, ruft Pippa. »Tut irgendetwas!«
    »Ihr habt Felicity gehört – rudert hinein!«, schreie ich. »Volle Kraft voraus!«
    Wir rudern mit aller Kraft und ich bin überrascht von der Stärke unserer Arme und unseres Muts. Wir bewegen die Ruder im gleichen Takt und bald gelingt es uns, das Boot auszurichten und geradewegs auf den hohen, schmalen Schlund zuzusteuern. Vier kräftige Schläge und wir sind durch. Der Fluss beruhigt sich und trägt uns tief in die Winterwelt hinein.
    Wir jubeln vor Begeisterung über unseren Sieg über den Fluss und das Echo unseres Freudengeschreis hallt von den Felswänden wider.
    »Oh! Seht!«, ruft Pippa.
    Farbiges Licht überzieht den düsteren Himmel. Die dunklen Wolken sind einem wirbelnden Spektrum aus Rot und Blau, Rosa und Gold gewichen. Und da sind Sterne! Einige schießen durch den Weltraum und zerstieben. Der Himmel ist unendlich. Ich fühle mich klein und unbedeutend und dennoch größer als jemals zuvor.
    »Es ist wunderschön«, sage ich.
    Pippa breitet ihre Arme aus. »Zu denken, wir hätten das versäumt.«
    »Noch sind wir nicht zurück«, warne ich.
    Quellnymphen gleiten unter der Oberfläche des Flusses dahin, die sanften Bögen ihrer glatten, runden Rücken blitzen wie eine Reflexion der Sternbilder daraus hervor.
    »Oh, was’n das da? Meerjungfrauen?«, fragt Mae, als sie in die Tiefe blickt.
    Ann zerrt sie vom Bootsrand weg. »Kümmere dich nicht darum.«
    »Aber sie sind so schön!« Mae streckt ihre Hand nach dem Wasser aus.
    »Weißt du, wie sie so schön bleiben? Sie ziehen dir die Haut ab und wickeln sich darin ein«, erklärt Ann.
    »Ach du Schande!« Entsetzt zieht Mae ihre Hand zurück und nimmt das Rudern wieder auf.
    Der Fluss beschreibt eine Schlinge. Nebel fällt wieder ein, dick wie Wolken. An einem froststarren Uferstreifen kommt das Boot zum Stehen.
    »Könnt ihr irgendetwas sehen?«, fragt Pippa. Sie beschattet mit der Hand ihre Augen und versucht, den Nebel zu durchdringen.
    »Nichts«, antwortet Bessie und klammert sich an ihr Ruder.
    »Da draußen kann alles Mögliche lauern«, sagt Ann leise.
    Das Boot lässt sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Es scheint, als habe es die Entscheidung über unser Fahrtziel getroffen. Eine Planke senkt sich und wir gehen von Bord. Das Schiff gleitet in die Nebeldecke zurück und ist verschwunden.
    »Und was jetzt?«, fragt Mae. »Wie sollen wir wieder zurückkommen?«
    Bessie gibt ihr einen Klaps auf den Arm. »Sei still! Wir gehen weiter.«
    Der Nebel ist hier noch dichter; die Landschaft tritt wie ein Phantom daraus hervor. Wir wandern durch einen kahlen Wald mit Bäumen wie verkrüppelte Geister. Knorrige Äste ragen da und dort durch den Nebel. Es ist still. Kein Laut dringt an unsere Ohren außer unserem holperigen Atem.
    Irgendetwas streift meine Schulter, ein Schreckenslaut entfährt mir. Ich drehe mich um, sehe aber nichts. Ich spüre es wieder. Es kommt von oben. Ich schaue hinauf und erkenne einen baumelnden nackten Fuß.
    »Oh Gott«, stöhne ich.
    Der Leichnam einer Frau hängt von einem Ast. Dünne Zweige winden sich um ihren Hals, halten sie am Baum gefangen. Ihre Haut hat das gräuliche Braun der Rinde angenommen und ihre Fingernägel sind gekrümmt und gelblich. Ihre Augen sind geschlossen, Gott sei Dank.
    Aber sie ist nicht die Einzige. Jetzt sehe ich sie im Nebel, rings um uns. Tote hängen von den Bäumen wie fauliges Obst. Eine unselige Ernte.
    »G-Gemma«, flüstert Ann. Ihre Augen sind weit aufgerissen und ich fühle den Schrei, den sie zurückhält, den wir alle zurückhalten.
    Pippa betrachtet die Toten mit einer Mischung aus Ekel und Sorge. »Ich bin nicht so. Ich nicht«, sagt sie und bricht in Tränen aus.
    Felicity zieht Pippa weg. »Natürlich nicht.«
    »Ich will zurück. Zurück nach Spence. Ins Leben. Ich halte es hier nicht mehr aus!« Pippa ist am Rande eines hysterischen Anfalls. Felicity streichelt ihr Haar, murmelt ihr tröstende Worte ins Ohr und versucht sie auf diese Weise zu beruhigen.
    »Da hätten uns die Teufelinnen hingebracht, wenn Miss Pippa nicht gewesen wäre«, sagt Bessie.
    Mir graut. Trotzdem, ich muss es wissen, also fasse ich nach einem der baumelnden Arme. Ich berühre die kalte, harte Hand und vor Schreck entwischt mir

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