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Kartiks Schicksal

Kartiks Schicksal

Titel: Kartiks Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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das Florett in ihren Händen. »Nun, an die Dienstboten, denke ich.«
    Ich öffne die Tür und strecke meinen Kopf hinaus. »Brigid, darf ich Sie etwas fragen?«
    Sie wirft mir einen finsteren Blick zu. »Was tun Sie da drinnen? Emily hat erst gestern in dem Zimmer sauber gemacht. Ich will nicht, dass das gleich wieder alles ruiniert wird.«
    »Natürlich nicht«, sage ich und beiße mir scheinbar reumütig auf die Lippe. »Es ist nur, Felicity und ich sind so schrecklich traurig, jetzt, wo Ann fort ist. Wir wissen ja, dass Sie sie auch gerngehabt haben. Wollen Sie sich einen Moment zu uns setzen?«
    Ich schäme mich ein bisschen, mich so hinterhältig in Brigids weiches Herz zu schleichen – umso mehr, als es funktioniert.
    »Oh, Herzchen, ich vermisse sie auch. Aber sie wird ein gutes Leben haben. Genau wie Ihre alte Brigid.« Sie poltert herein und klopft mir im Vorbeigehen mitfühlend auf die Schulter, worauf ich mich noch erbärmlicher fühle.
    »Aber, aber. Setzen Sie sich ordentlich hin, Miss«, schimpft Brigid, als sie Felicity sieht. Felicity stellt beide Füße mit einem lauten Rums auf den Boden und ich werfe ihr einen tadelnden Blick zu.
    Brigid fährt mit dem Zeigefinger über den Kaminsims und macht ein missbilligendes Gesicht. »Nein. So geht das nicht.«
    »Brigid«, beginne ich, »erinnern Sie sich an ein Mädchen, das in Spence zur Schule gegangen ist …«
    »Viele Mädchen sind in Spence zur Schule gegangen«, unterbricht sie. »Kann mich nicht an alle erinnern.«
    »Na ja, dieses Mädchen war vor langer Zeit hier, damals, als Mrs Spence noch gelebt hat, vor dem Brand.«
    »Oh, das ist schon ’ne Ewigkeit her«, murmelt Brigid und wischt mit dem Rand ihrer Schürze den Kaminsims ab.
    »Dieses Mädchen war taubstumm. Wilhelmina Wyatt.«
    Brigid wirbelt jäh herum und ihr Gesicht zeigt einen merkwürdigen Ausdruck. »Verflixt, wie kommen Sie ausgerechnet auf die?«
    »Ann hat von ihr gewusst. Sie hatte ein Buch, das Wilhelmina geschrieben hatte. Und ich … wir … haben uns nur gefragt, was für ein Mensch sie war.« Ich lächle schwach.
    »Tja, das ist schon ’ne Ewigkeit her«, wiederholt Brigid. Sie staubt eine kleine orientalische Vase mit ihrer Schürze ab. »Aber ich erinnere mich an sie. Miss Wil’mina Wyatt. Mrs Spence sagte, sie ist was Besonderes, auf ihre Art, dass sie Sachen sieht, die die meisten von uns nicht sehen. ›Sie kann ins Dunkel sehen‹, sagte sie. Na ja, ich hab nicht behauptet, dass ich verstehe, was sie meint. Das Mädchen konnte nicht einmal sprechen, Gott hab sie selig. Aber sie hatte immer ihr kleines Buch dabei, in das sie geschrieben und gezeichnet hat. Auf diese Weise hat sie sich verständigt.«
    Genau so, wie es uns Dr. Van Ripple erzählt hat.
    »Wie ist sie hierhergekommen? Soviel ich weiß, hatte sie keine Familie«, sage ich.
    Brigid zieht die Brauen hoch. »Aber ja doch …«
    »Ich dachte …«
    »Wilhelmina Wyatt war Mrs Spence’ eigen Fleisch und Blut. Mina war ihre Nichte.«
    »Ihre Nichte?«, wiederhole ich, denn ich wundere mich, dass Eugenia mir nichts davon gesagt hat.
    »Sie ist zu uns gekommen, nachdem ihre Mutter gestorben war, Gott hab sie selig. Ich erinnere mich noch an den Tag, als Mrs Spence in die Stadt gefahren ist, sie zu holen. Klein-Mina war in einem Boot ausgesetzt worden und sie haben sie in der Nähe der Zollwache gefunden. Armes Wurm. Muss schrecklich gewesen sein. Und hier waren die Dinge nicht viel besser.« Brigid stellt die Vase zurück und nimmt sich den ersten von zwei Kerzenleuchtern vor.
    »Was meinen Sie damit?«, fragt Felicity.
    »Manche Mädchen haben sie gepiesackt und ihr das Leben schwer gemacht. Sie haben sie an den Zöpfen gezogen, um zu sehen, ob sie petzt.«
    »Hatte sie überhaupt irgendwelche Freundinnen?«
    Brigid runzelt die Stirn. »Diese furchtbare Sarah Rees-Toome hat manchmal mit ihr zusammengesteckt. Ich hab gehört, wie sie Mina gefragt hat, ob sie wirklich ins Dunkel sehen kann und wie es dort ist, und Mrs Spence hat Sarah deswegen zur Rede gestellt und ihnen verboten, miteinander zu spielen.«
    »Hatte Miss Wyatt irgendeinen Lieblingsplatz – ein Versteck vielleicht?«, drängt Felicity.
    Brigid denkt einen Augenblick nach. »Sie hat gern draußen auf dem Rasen gesessen und die Wasserspeier gezeichnet. Ich hab sie gesehen, mit dem Buch auf dem Schoß, wie sie lächelnd zu ihnen raufgeschaut hat.«
    Ich muss an die seltsame Halluzination denken, die ich hatte, als ich zu Ostern nach London

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